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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Oder hast du es so eilig, die Reparatur abzuarbeiten?«
    Simon gab sich große Mühe, nicht zu erröten, aber es mißlang, wie so oft. Natürlich errötete er nicht wegen Godards Bemerkung. Der Blick aus Emmas dunklen Augen war schuld, und obwohl er fest davon überzeugt war, daß es niemand bemerkte, bemerkte es zumindest der Uhrmacher.
    » Ich habe es gar nicht eilig. Es macht mir Freude, bei Euch zu arbeiten, Meister Godard, das wißt Ihr doch. Und ich bin Euch dankbar, daß Ihr meine Uhr um diesen Preis repariert habt …«
    Emma lachte. Dieses helle, leise Lachen, das Simon das Gefühl gab, als riesele ein köstlich sprudelnder Regen seinen Rücken hinab. » Es war wirklich sehr nett von Papa, deine Uhr zu reparieren und dich dafür zur Sklavenarbeit zu verpflichten. Du schluckst den Staub, und unsere Werkstatt ist so gut aufgeräumt wie nie. All die akkurat gemalten kleinen Schilder an den Kästen, und erst die Ordnung in den Kästen! Willst du mir heute helfen, einen silbernen Uhrdeckel zu polieren?«
    Nichts wollte Simon lieber, und Godard, der nicht einmal eine Kerze, geschweige denn akkurate Schildchen brauchte, um sich in seiner Werkstatt und seinem Lager zurechtzufinden, beugte sich schweigend über seine Arbeit. Als er dem Jungen den Handel anbot, hatte er gedacht, der werde die Dielen kehren, ab und zu einen Botengang erledigen und sonst vor allem stören. Ersteres hatte Simon auch zunächst getan, das tat er immer noch, wenn er seine freien Stunden in der Werkstatt verbrachte, aber schon bald hatte er sich mit Feuereifer an verantwortungsvollere Aufgaben gemacht. Nicht unbedingt notwendige Aufgaben, aber wenigstens keine ganz und gar sinnlosen. Nein, Simon störte nicht, selbst wenn er, je öfter er kam, immer mehr Fragen stellte.
    Es war ein Jammer. Dieser Junge mit einem Kopf für Mechanik, Händen für feine Präzisionsarbeiten und einem Herz für die Schönheit würde bald an die Universität gehen und nach einigen, mit etwas Glück lustigen Studentenjahren sein Leben in irgendeiner Amtsstube verbringen. Godard hätte viel darum gegeben, wenn sein Gehilfe Jerôme nur halb so viel Uhrenverstand gehabt hätte wie dieser gelehrte Schuljunge. Und ein Viertel von dessen Zuverlässigkeit. Vor Stunden schon hatte er Jerôme zum Hafen geschickt, um zu fragen, ob die King George endlich eingelaufen sei. Seit Tagen wartete er voller Ungeduld auf die Bark aus London, die ihm die Einzelteile für eine Kostbarkeit, zugleich Uhr und Musikautomat, bringen sollte. Es geschah nicht oft im Leben eines kleinen Uhrmachers, daß ihm ein solches Wunderwerk anvertraut wurde. Und ganz gewiß wäre das auch nicht passiert, wenn es ihm nicht nach den Fehlschlägen zweier anderer Uhrmacher endlich gelungen wäre, die alte Haagse Klock, eine wertvolle Tischuhr des holländischen Gesandten, wieder genau laufen zu lassen. Und genau schlagen, denn das gute alte Uhrwerk war seit Jahren eigenwillig genug, nie die Schläge erklingen zu lassen, die zu der von den Zeigern angezeigten Zeit paßten. Er hatte diese Uhr, eine Arbeit von Pieter Visbach, einem der renommiertesten Uhrmacher der Niederlande, sehr gemocht. Schon ihr Anblick hatte ihn erfreut. Das dunkle, lackierte Nußholz des Gehäuses zeigte links und rechts des Zifferblatts schlanke Halbsäulen. Der aufgesetzte Rundgiebel war in der Mitte geteilt und trug auf beiden Hälften liegende Putten, die je ein Stundenglas in der rundlichen Hand hielten. Zwischen ihnen gemahnte eine hölzerne Urne auf einem winzigen Podest an die Vergänglichkeit von Zeit und Leben. Dunkelroter Samt überzog das Zifferblatt, dessen römische Ziffern nur die vollen Stunden zeigten, so wie es bei vielen alten Uhren üblich war. Zartes Gerank, wie Ziffern und Zeiger aus vergoldetem Messing, füllte die vier Ecken über seinen Rundungen. Die Uhr war alt, aber sie war immer noch von harmonischer Schönheit.
    Die Reparatur, für ihn einfach ein Teil seiner alltäglichen Arbeit, in Gesandtenkreisen jedoch ein Beweis unerhörter Fähigkeiten, hatte ihm viele neue Aufträge eingebracht. Lukrative Aufträge und interessante dazu. Noch nie hatte er so viele kostbare Uhren repariert und gepflegt wie in diesem Jahr. Aber so einen Automaten zusammenzusetzen und zum präzisen Lauf zu zwingen, so ein von etlichen Künstlern und berühmten Handwerksmeistern erschaffenes Wunderwerk zum Leben zu bringen, das war eine Aufgabe, nach der er schon lange fieberte. Und nun kam die Bark nicht an, nicht einmal Jerôme kam

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