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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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es sei ja gerade erst geschehen. Schrecklich, ganz schrecklich. Ausgerechnet in einer so honorigen Anstalt. Sie habe immer zu ihrem seligen Marburger gesagt, unsere Söhne, habe sie gesagt, müssen das Johanneum besuchen, eine andere Schule komme nicht in Frage.
    Plötzlich wurde es totenstill in der Werkstatt, bis auf Madame Schwarzbachs Geplapper natürlich. Godard, der gerade die Zipfel der Decke in die letzten Ecken des Kastens stopfte, hielt in der Bewegung inne, und das sanfte Klopfen und Reiben von Emmas Arbeitstisch brach schlagartig ab, als habe jemand die Zeit angehalten. Aber das merkte Madame Schwarzbach nicht.
    Natürlich nur bis zur Quarta oder Tertia, teilte sie weiter mit, das reiche völlig, und dann eine ordentliche Lehre, die sei viel hilfreicher für tüchtige junge Männer, die im Handel erfolgreich sein wollen. Ja, das habe sie immer gesagt, und Monsieur Schwarzbach, ihr Gatte, sei da ganz derselben Meinung. Auch sein Sohn habe das Johanneum besucht, sogar bis zur Prima, was sie persönlich für Zeitverschwendung halte, aber es habe ihn nicht verdorben, er sei ein tüchtiger junger Mann, der die Manufaktur seines Vaters bald übernehmen werde, dann, ja dann werde ihr Schwarzbach auch mehr Zeit für sie haben.
    » Es ist nicht leicht, eine Frau zu sein«, seufzte sie, » ständig muß man warten. Ja. Was wollte ich sagen? Natürlich, der Mord im Johanneum. Ein Mord!« plapperte sie eifrig weiter, nun einen Hauch gerechter Empörung in der Stimme. » Ich habe es gerade erst gehört, die Weißnäherin, Madame Ella, die ihre Nähstube direkt gegenüber am Plan hat, gleich neben der Wachszieherei, Ihr kennt sie gewiß, eine fabelhafte Weißnäherin und ganz akkurat, nie gehen die Fäden auf, nie … Wie? Wer das Opfer ist? Einer der Lehrer, zum Glück kein Schüler. Ach«, ihre Augen begannen zu schwimmen, sie zog ein Spitzentüchlein aus ihrem Ärmel und tupfte sich anmutig die hellblauen Augen. Auch sie selbst habe ja dieses Leid erfahren, erklärte sie, sie wisse, was es bedeute, wenn ein geliebter Mensch auf so grausame Weise aus dem blühenden Leben … Wer? Welcher Lehrer? Man wisse seinen Namen noch nicht, die Wedde sei dort, alle würden verhört.
    » Es muß aber ein Lehrer der oberen Klassen sein, jedenfalls hat man ihn im Raum der Sekunda gefunden. Der Pedell, das weiß Madame Ella genau, der Pedell hat ihn gefunden. Sehr seltsam. Findet Ihr nicht auch? Was hatte der in der Pause in den Klassenzimmern zu suchen? Er soll auch ein recht düsterer Mensch sein, aber andererseits, man darf davon nicht auf die Gesinnung seiner Seele schließen, auch wenn das jetzt in Mode kommt, wie mein lieber Schwarzbach mir erst neulich aus der Neuen Hamburgischen Zeitung vorgelesen hat. Die Physiognomie soll den Charakter verraten? Ich weiß nicht, wirklich nicht, ob so etwas richtig ist. Gott hat doch alle unsere Gesichter gemacht. Andererseits, mein Schwarzbach ist ein schöner Mensch, und so gerade wie sein Herz sind auch seine Glieder, das ist bei Gott wahr.«
    Wieder seufzte sie, diesmal eher versonnen, doch dann erinnerte sie sich an den schrecklichen Tod in der Schule. Gerade jetzt würden alle vom Weddemeister befragt, gerade jetzt, alle Lehrer und der Pedell. Es könne ja nur einer von ihnen gewesen sein.
    » Andererseits ist das doch undenkbar! Lauter ehrbare Männer, alle persönlich vom Scholarchat ausgesucht und ernannt! Sogar der Pedell. Wenn man bedenkt! Die Lehrer unserer Kinder! Ich bin wirklich froh, daß meine Söhne und auch der Sohn meines lieben Schwarzbach schon vor Jahren das Johanneum verlassen haben. Dennoch, es ist schrecklich. Und natürlich gottlos. Sehr gottlos.«
    Sie tupfte noch einmal die Augen, dann kräuselte sie die Lippen zu einem heiteren Lächeln und fuhr fort: » Und die Rechnung, lieber Meister, schickt doch in das Kontor meines Gatten. Adjöadjö.« Und schon war sie, mit dem Fächer winkend, ihren Kutscher mit dem Uhrenkasten im Gefolge, durch die hektisch klingelnde Tür verschwunden.
    In der Werkstatt tickten die Uhren plötzlich lauter. Godard, Emma und Simon verharrten wie in einer Scharade erstarrt.
    » Deshalb war die Schule geschlossen, Simon » , sagte der Uhrmacher schließlich. » Deshalb also. Jemand hat deinen Lehrer getötet. Monsieur Donner war doch dein Lehrer? Der Lehrer der Sekunda?«
    Simon schwieg, er sah immer noch auf die Tür, durch die Madame Schwarzbach verschwunden war, und Emma sagte: » Wenn es stimmt, was Madame Schwarzbach erzählt hat.

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