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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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wieder an. Irgend etwas stimmte mit dem Jungen in der letzten Zeit nicht. Wahrscheinlich war er nur verliebt. Eine Sommerliebe, was konnte schöner sein?
    » Simon.« Der erschreckte Ruf seiner Tochter ließ den Uhrmacher aufsehen. Emma saß an ihrem Arbeitstisch, das Tuch, die Polierpasten und feinen Werkzeuge vor sich und starrte Simon an.
    Der stand vor ihr, die Hände mit nach außen gedrehten Handflächen vorgestreckt.
    » Es ist nichts«, sagte er, » es sieht nur so schlimm aus. Ich zeige sie dir bloß, weil ich heute nicht so gut mit ihnen arbeiten kann » , er bewegte vorsichtig die Finger, » sie sind noch ziemlich steif.«
    Godard war zu den beiden getreten und sah mit gerunzelter Stirn auf die immer noch rotglühenden Hände des Jungen. » Wer hat das gemacht? Dein Lehrer? Haben die Zeiten sich noch immer nicht geändert? Nicht einmal in eurem frommen Johanneum?«
    Simon nickte und wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber Godard hob abwehrend die Hand. » Du mußt nichts sagen, Simon. Vielleicht stimmt es, daß Kinder ab und zu eine strenge Strafe brauchen, aber zum einen bist du kein Kind mehr, zum anderen …« Er hob abwehrend die Hände und ging zu seinem Arbeitstisch zurück. » Willst du nicht lieber nach Hause gehen, ich meine, in dein Zimmer? Du solltest ein nasses Tuch auf die Hände legen. Und eine aufgeschnittene Zwiebel. Das könnte helfen.«
    » O nein«, Simon schüttelte heftig den Kopf. Die Anteilnahme der beiden Godards kühlte seine Hände besser als jedes Eiswasser. » Ich habe vorhin ein nasses Tuch draufgelegt, ziemlich lange sogar, es ist auch schon etwas besser. Ich möchte wirklich lieber hierbleiben.«
    Godard nickte. » Aber du solltest das unbedingt deinem Rektor zeigen. Falls er es nicht sowieso entdeckt, du wohnst schließlich bei ihm. Oder ist er so unachtsam gegenüber ihm anvertrauten Schülern?«
    » Nein, das ist er bestimmt nicht. Er ist sehr freundlich, auch wenn er meistens viele Dinge im Kopf hat. Ich sehe ihn nicht oft. Eigentlich nur bei den Mahlzeiten, und auch da ist er nicht immer zu Hause. Er ist wirklich sehr beschäftigt. Aber vielleicht zeige ich es ihm diesmal.« Simon schluckte und straffte tapfer seinen Rücken. » Bestimmt sogar. Ich …«, er schluckte noch einmal und Godard, der merkte, daß der Junge mit den Tränen kämpfte, begann in seinen Kästen herumzukramen. » Er wird mich nicht wieder schlagen, Monsieur«, fuhr Simon heiser fort. » Diesmal war es zu viel. Und vielleicht werde ich es auch melden.«
    Die Stimme klang trotzig, und Godard verstand, daß Simon genau wußte, man würde eher dem Lehrer Glauben schenken als einem Schüler, besonders wenn der nur ein Junge aus dem fernen Husum ohne elterlichen Einfluß war.
    » Du wirst bestimmt richtig entscheiden«, sagte er und ging an seinen Arbeitstisch zurück. » Setz dich heute neben Emma und sieh zu, wie man feines Silber poliert. Dann ist der Tag doch nicht ganz verloren. Wenn du deine Hände wieder gebrauchen kannst, ist immer noch Zeit, es selbst zu probieren.«
    So begann Emma ihrem Lehrling auf Zeit zu erklären, wozu die Pasten da waren, die in kleinen Näpfen vor ihr standen. Eine, Fett-Tripel genannt, was so viel hieß wie Fett und Erde aus Tripolis und wohl Sand aus der großen afrikanischen Wüste bedeutete, für den groben Vorschliff. Eine andere aus Wachs mit dem allerfeinsten, ja staubfeinen Sand oder Edelsteinpulver vermischt für die letzte, feinste Politur. Dann zeigte sie ihm einen Polierstahl, einen dünnen Stift, dessen rundliche, wie Silber glänzende Spitze eisernen Teilen der Uhrwerke die letzte Politur gab, was, so fügte sie hinzu, zugleich die Oberfläche härtete und damit widerstandsfähiger machte. Ein anderer Stift trug an seiner Spitze einen kleinen Hämatit, einen Blutstein. Der war zwar ein schwarzgrauer Halbedelstein, sein Abrieb färbte sich in Wasser blutrot, und das hatte ihm seinen Namen gegeben. Gerade als sie ihm erklärte, daß mit diesem Hämatit auch feine Metalle poliert wurden, Gold und Silber, indem man ihn sanft oder auch kräftiger darüberschob und -rieb, daß er zudem gut war, um winzige Beulen auszugleichen, hielt vor der Werkstatt ein eleganter offener Zweisitzer. Der Kutscher sprang vom Bock, öffnete den Schlag und reichte seiner Herrin helfend die Hand. Diesmal läutete das Glöckchen unter dem energischen Schwung der eintretenden Dame nicht lieblich, sondern äußerst hektisch.
    » Bong schür, bong schür.« Madame Schwarzbach, eine

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