Die zerbrochene Uhr
rosigblonde füllige Dame mittleren Alters in jugendlicher Robe aus dem am verwegensten gemusterten Kattun der Manufaktur ihres Gatten, schwenkte ihre ausladenden Röcke durch die Werkstatt, nickte Emma huldvoll zu, übersah den vermeintlichen Lehrling Simon und bremste kurz und scharf direkt vor Meister Godard. Auch Madame Schwarzbach gehörte zur neuen Kundschaft. Bis vor etwa einem halben Jahr war sie noch die Witwe des reichen Zuckerbäckers Marburger gewesen, den jemand auf den Wällen mit einer seiner eigenen Zuckerformen erschlagen hatte. So wurde es jedenfalls erzählt. Bis vor kurzem hätte sie lieber auf alle ihre Uhren verzichtet, als sie einem hugenottischen Uhrmacher anzuvertrauen, doch nun, da der die Uhren des holländischen und einiger anderer Gesandter betreute, vor allem die der Gräfin Bentinck, der alleradeligsten Dame in der Stadt, war es ihr unerläßlich, eine von Godard reparierte Uhr im Salon vorweisen zu können. Godard erhob sich mit einer kleinen Verbeugung, doch bevor er die Begrüßung auch mit Worten erwidern konnte, hatte Madame Schwarzbach schon ihre Uhr entdeckt und ließ spitze Schreie der Begeisterung hören, obwohl die Uhr natürlich äußerlich nahezu genauso aussah wie vorher.
» Mong djö, mong djö!« Madame Schwarzbach hatte erst kürzlich beschlossen, daß es doch vornehmer war, ein wenig Französisch in ihre Rede einfließen zu lassen, jedenfalls tat das die Gräfin Bentinck. Und die stand auf vertrautestem Fuße mit Monsieur Voltaire, was nur bedingt eine Empfehlung war, aber auch, und das war wirklich honett, mit dem preußischen König, von dem man wußte, daß er nur französisch sprach, ja, sogar des Deutschen kaum mächtig sein sollte.
» Mong djö!« rief sie noch einmal. » Da ist sie ja, meine geliebte Uhr. Dieses Kunstwerk. Und wie sie klingt! Lauscht nur auf dieses Ticken. Ach, ich höre schon, nun ist sie wieder ganz gesund.« Sie kicherte und stupste den Meister neckisch mit ihrem Fächer gegen die Schulter. » Die Arme war krank und faul, nun ist sie unter Euren Händen wieder gesund und fleißig geworden. Ja, wieder fleißig. Wie wunderbar …«
» Madame!« Godard hob selten die Stimme, aber hier blieb ihm keine andere Wahl. » Madame!«
Madame Schwarzbach klapperte irritiert mit den Lidern und legte den Kopf schief wie ein aufgeschreckter Vogel.
» Madame«, fuhr Godard mit seiner gewohnt ruhigen Stimme fort, » ich freue mich, daß Ihr auf den ersten Blick erkennt, daß die Uhr präzise ihre Arbeit tut. Leider ist diese«, er zeigte mit dem Zirkel, den er noch in der Hand hielt, auf die Uhr, die Madame Schwarzbach so beglückt angesehen hatte, » leider ist diese nicht die Eure. Eure Uhr«, nun zeigte er auf eine tatsächlich sehr ähnliche an der gegenüberliegenden Wand, » hängt dort.«
Ein verräterisches Glucksen, gefolgt von umständlichem Husten und Räuspern kam von dem Arbeitstisch am hinteren Fenster, an dem Simon und Emma mit dem Polieren eines silbernen Taschenuhrdeckels beschäftigt waren.
» Und natürlich habt Ihr recht«, fuhr Godard ungerührt fort, » sie war faul, und nun ist sie wieder fleißig. Ich habe das Uhrwerk auseinandergenommen, alle Teile gereinigt, hier und da ein wenig nachgeschliffen und eine neue Feder eingesetzt. Meine Tochter hat Zeiger und Zifferblatt neu poliert – nun wird Eure Uhr wieder viele Jahre ihren Dienst tun, so wie es sich gehört.«
Er verriet seinen Kunden nie, daß Emma weitaus mehr von der Uhrmacherei verstand. Sie hatte schon, kaum daß sie die Buchstaben und Zahlen beherrschte, mehr Zeit in der Werkstatt verbracht als in Küche, Gemüsegarten und Wäschekammer. Tatsächlich war Emma ein besserer Uhrmacher als Jerôme. Das wußte jedoch niemand außer Godard. Und Jerôme natürlich, aber der hätte es nicht mal sich selbst eingestanden.
Auch ihre eigene Uhr war Madame Schwarzbach eine – nun schon ein wenig abgenutzte – Flut von Begeisterungsrufen wert. Sie winkte eifrig ihrem Kutscher, der brachte einen großen hölzernen Kasten herein, und während Godard die Uhr von der Wand nahm, das Pendel in seinem Uhrkasten mit weichen Tüchern gegen die Erschütterungen in der Kutsche schützte und schließlich die ganze Uhr liebevoll in eine weiche Decke wickelte und so in dem Kasten verstaute, daß sie nicht hin und her rutschen konnte, holte Madame Schwarzbach wieder tüchtig Luft und erzählte den neuesten Klatsch.
Ob der Meister es schon gehört habe? Ganz gewiß habe er es noch nicht gehört,
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