Die zerbrochene Uhr
Sorge um weibliche Reize. Er blieb stehen, direkt vor Jensens Kaffeehaus gegenüber der Börse, und sah sich um. Wagner ging nicht mehr neben ihm, was allerdings weniger am Respekt eines Weddemeisters gegenüber einem Großkaufmann, Mitglied der Commerzdeputation und des Scholarchats lag, als an Wagners etwas kurz geratenen Beinen.
Das Kaffeehaus sei genau der richtige Ort, so hatte Claes Herrmanns gedacht, um die unerhörten Ereignisse im Johanneum mit Wagner noch einmal zu besprechen. Außerdem brauchte er dringend einen Kaffee. Am besten mit Kardamom gewürzt natürlich, der war ihm von jeher der liebste. Wahrscheinlich hatten Bocholt und Sonnin recht, wenn sie ihn einen Kaffeesüchtigen nannten. Aber er hatte sich geirrt. Obwohl die Zeit, in der sich die Kaufleute täglich nach Börsenschluß hier trafen, längst vorüber war, hörte er schon vor der Tür – sie war wie oft an heißen Tagen weit geöffnet – die Stimmen vieler Männer. In dem großen, aber niedrigen Raum stand die Luft zum Schneiden dick. Alle Stühle waren besetzt, selbst die weniger beliebten Bänke an den hinteren Fenstern zum Fleet, und aus dem Billardraum drangen das Klacken der Kugeln und einander eifrig übertönende, offensichtlich nicht nur vom Kaffee angeregte Stimmen.
Wagner hatte ihn eingeholt und stand schnaufend neben ihm. » Ich glaube nicht, daß wir hier in Ruhe reden können, Wagner. Was meint Ihr?«
» Gewiß nicht. Ich fürchte auch, daß hier zu viele gespitzte Ohren sind, wenn Ihr versteht, was ich meine. Vielleicht sollten wir doch lieber ins Rathaus gehen.«
Der Weddemeister bemühte sich um eine bedauernde Miene, tatsächlich war er froh, das Kaffeehaus so überfüllt zu finden. Jensens Kaffeehaus war der Treffpunkt der Kaufleute, ausländischen Gesandten und wohlhabenden Reisenden. In der letzten Zeit fanden sich hier auch immer mehr Künstler und Literaten ein, weil der Wirt ›ihres‹ Kaffeehauses, dem Dresserschen bei der Trostbrücke, seit dem Frühjahr nur noch englische, aber keine italienischen, französischen und holländischen Zeitungen mehr auslegte und zudem angekündigt hatte, man müsse demnächst auch Tinte und Papier selbst mitbringen, wenn man auf seinen Stühlen Briefe zu schreiben gedenke. Diese Männer gehörten ebenso wenig zu seiner Welt. Wagner hatte nichts gegen ein gutes Gasthaus einzuwenden. Besonders im Bremer Schlüssel in der Neustädter Fuhlentwiete trank er gerne ab und zu ein Glas Bier oder Branntwein. Aber bei Jensen zwischen all den teuer gekleideten Herren, die von ihren Geschäften mit der halben Welt sprachen, von den neuesten Büchern und Zeitungen, die Ratsmitglieder beim Vornamen nannten und über Malaisen mit Domestiken und schlecht gefederten Kutschen klagten, fühlte er sich wie ein struppiger Kater unter Löwen.
» Ins Rathaus?« Claes schnupperte den Duft des mit Nelken, Pomeranzen, Vanille oder Kardamom gewürzten Kaffees, der sich mit der Süße der Schokolade und dem herben Geruch des Tabakrauchs aus vielen Tonpfeifen vermischte, und fand Wagners Vorschlag keine gute Idee. Er sah sich noch einmal in dem dämmerigen Raum um, winkte Lessing und Bode zu, der eine Kritiker am großen Theater im Hof hinter dem Gänsemarkt, der andere Buchdrucker und Verleger, Literaten alle beide, die mit zwei anderen Männern an einem mit vielen eng bekritzelten Papierbögen, mit Tassen und Gläsern überladenen Tisch saßen, wich Jensen aus, der mit hochrotem Kopf ein schweres Tablett voller dampfender Tassen an ihm vorbeibalancierte, und trat zurück auf die Straße.
» Das Rathaus mag still und verschwiegen sein, Wagner, aber wir brauchen nach diesem schrecklichen Tag unbedingt eine Erfrischung. Elsbeth wird uns im Handumdrehen einen Kaffee brauen, und ganz bestimmt einen besseren als Jensens Mamsell.«
Der Weddemeister nickte ergeben, dachte sehnsüchtig an die kühlen, nur wenige Schritte entfernten Räume des Rathauses und beeilte sich, Claes Herrmanns einzuholen, der schon einige Schritte voraus war. Noch bevor sie die Zollenbrücke betraten, hörten sie durch das Gerümpel der Wagen auf den Bohlen und das Geschrei der Männer um den Alten Kran eine zornige Stimme.
» Aber ich sage dir doch, ich nehme sie mit. Warum willst du sie ersäufen? Du wirst sie auch so los.«
» Das kann jeder sagen«, eine ungeduldige Männerstimme klang dumpf unter der Brücke hervor, » und kaum bin ich um die Ecke, läßt du sie laufen, und ich hab sie wieder am Hals, ’n Hund kann man verkaufen
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