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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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schon eine Idee, wer es war? Oder warum er es getan hat?«
    Beide Männer, den Mund gerade voll mit saftig tropfenden, mit frischer Sahne bestrichenen Pfirsichstücken, schüttelten den Kopf.
    » Es tut mir leid, Rosina.« Claes Herrmanns wischte sich mit dem Mundtuch den Saft vom Kinn. » Da wolltet Ihr meiner Frau einen Besuch machen, ich hoffe, auch dem Rest der Familie, und Anne ist nicht nur mit Augusta in den Garten gefahren, sondern Ihr hört auch gleich wieder so eine schreckliche Geschichte. Eine wirklich unangenehme Sache. Ausgerechnet im Johanneum. Das wird viel Aufsehen und Unruhe machen.«
    Rosina nickte und dachte, daß der Mord im Theater im vergangenen Jahr die Leute in der Stadt nicht besonders interessiert hatte. Da war das Opfer allerdings nur eine Schauspielerin gewesen, eine Fremde, zudem von zweifelhaftem Ruf, wie es geheißen hatte. Nun war ein Lehrer ermordet worden. Nicht irgendeiner von der Armenschule, sondern einer von denen, die ehrenvoll berufen worden waren, die Söhne der ersten Familien der Stadt zu erziehen.
    Wagner wischte sich verstohlen die klebrigen Finger an seiner Kniehose ab, bis er sich daran erinnerte, daß auch neben seinem Teller ein weißleinenes Mundtuch lag. Dann zog er eine Handvoll knittriger Zettel aus der Rocktasche.
    Rosina lachte. » Ihr mit Euren Zetteln, Wagner. Jeder, der Euch kennt, weiß, daß Euer Kopf viel mehr aufnimmt, als Ihr je auf Eure Zettel schreiben könnt.«
    Wagner errötete, aber nur wenig. » Meine Zettel«, sagte er, » sind dennoch hilfreich, Mademoiselle. Ich kann sie auf dem Tisch herumschieben, und so, wie ich sie neu sortiere, sortieren sich auch die Gedanken in meinem Kopf. Aber das tut nun nichts zur Sache.« Er sah zu Claes Herrmanns hinüber, aber der war mit einer zweiten Portion der köstlichen Pfirsiche beschäftigt, und so fuhr er fort: » Monsieur Herrmanns und ich wollen nun die Ergebnisse der Befragungen besprechen. Und ich denke, nun, ich denke, es ist auch in Eurem Sinne, Monsieur Herrmanns, ich denke, es wäre von Vorteil …«
    » Was unser guter Wagner sagen will«, unterbrach ihn Claes, » wir haben eine verteufelt undurchsichtige Mordgeschichte am Hals, und es wäre sehr freundlich, wenn Ihr uns denken helft.«
    » Genau«, sagte Wagner, und wer aufmerksam hinsah, entdeckte ein geradezu an Unverschämtheit grenzendes Grinsen. Wagner hatte Respekt vor Claes Herrmanns, der in der Stadt ein bedeutender Mann war, aber er hatte schon lange keine Angst mehr vor ihm. » Genau«, wiederholte er, breitete seine Zettel scheinbar ohne Sinn, tatsächlich nach einem genau durchdachten System auf dem Tisch aus, schob sie ein wenig herum, vertauschte diesen gegen jenen und hob entschlossen den Kopf.
    » Am besten hört Ihr einfach zu, Mademoiselle Rosina, und wenn Ihr etwas nicht versteht, fragt danach. So helft Ihr uns«, er räusperte sich, peinlich berührt über sein vermessen vertrauliches ›uns‹, » so helft Ihr Monsieur Herrmanns und auch mir, Lücken in unseren Konklusionen zu erkennen. Ja. Wenn Ihr bereit seid? Dann beginne ich damit, wie der Tote«, er griff nach einem der Zettel und hob ihn hoch, » gefunden wurde.«
    Töltjes, der Pedell, hatte kurz vor dem Ende der Pause, es mochte halb eins oder schon ein wenig später gewesen sein, den Innenhof der Schule betreten. Er umrundete den Hof mit dem kleinen Gebäude für die Zeichenklasse entgegen dem Uhrzeigersinn, wie er es immer tat. Die Türen zu den Klassenzimmern waren, wie es der Ordnung entsprach, geschlossen, die zur Tertia allerdings stand weit offen. Er schloß auch sie und fand gleich die nächste, die zum Raum der Sekunda, ebenfalls weit geöffnet. Er erkannte den Lehrer sofort, obwohl er ihn fast nur von hinten sah, und glaubte zunächst, er schlafe. Obwohl Monsieur Donner niemand war, der im Klassenzimmer schlief. Nicht einmal in der Pause und ganz bestimmt nicht im Scholarchenstuhl. Er trat leise zurück in den Hof, um die Tür tüchtig zuzuschlagen, damit der Lehrer erwachte, ohne ihn zu bemerken. Denn gewiß, so hatte er gedacht, werde Monsieur Donner nicht erfreut sein, bei einer solchen Nachlässigkeit überrascht zu werden. Doch dann, er wußte nicht warum, kam ihm die Sache seltsam vor, es war ein warmer Tag, vielleicht war Monsieur Donner unpäßlich und brauchte Hilfe. Also hatte er kräftig an den Türrahmen geklopft. Als der Lehrer sich nicht rührte, war er nach vorne zu dem Stuhl gegangen, und da sah er es. Doch, er habe gleich gefunden, daß

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