Die zerbrochene Uhr
feuchten Staub fast schwarz.
»Nirgendwohin, mit Verlaub. In alter Zeit führte sie zum Keller unter dem Johanneum. Als es eben noch nicht das Johanneum war, sondern der ganze Trakt die Zellen der Mönche und den Kreuzgang um den Friedhof beherbergte. Ihr seht ja, daß sie seit langem nicht mehr benutzt wird. Seit Generationen nicht mehr.«
Claes versuchte, die Klinke herunterzudrücken, sie bewegte sich nicht. Wagner trat näher und hielt die Laterne vor das Schloß. Der Eisenbeschlag war rauh und rostig, und das große Schlüsselloch mit Holzspänen verstopft, die ebenso alt wie die Tür sein mußten. Wagners Versuch, sie mit seinem Messer herauszudrücken, war zwecklos, die Späne, oder was immer es sein mochte, waren hart und bröckelig wie Kalkstein.
»Wenn ich Euch nun den Lagerkeller zeigen darf, Monsieur Herrmanns?«
»Danke, Malchow, aber ich denke, das ist nicht nötig. Ich glaube kaum, daß jemand von dort einen Gang unter dem Kloster bis zum Johanneum gegraben hat.
»Gewiß nicht«, sagte Malchow, der sich nicht vorstellen konnte, daß ein Mitglied des Scholarchats einen Scherz machte, insbesondere in einer so ernsten Sache, »er würde auch nicht weit kommen, viel zuviel Wasser. Das Kloster steht nahezu in der Kleinen Alster, so daß wir unsere Vorräte stets einige Fuß hoch lagern. Im Spätherbst, wenn die Stürme die Flut hoch auflaufen lassen, kommt es immer wieder vor, daß sich das Wasser in die Keller drückt. Noch darunter zu graben wäre ganz vergeblich.«
»Und das hier ist die einzige Möglichkeit?« fragte Wagner.
»Auf dem Dachboden ist es im Sommer natürlich zu heiß, dort würden die Vorräte schnell verderben, außer den getrockneten Bohnen und Erbsen vielleicht, aber kein vernünftig vorsorgender Mensch … «
»Vorräte?« Wagner hatte nicht zugehört. Er studierte immer noch das Schloß. »Ich meine die Tür. Ist dies die einzige Tür, durch die man hinüber zur Schule kam?«
»Die Tür? Natürlich, die Tür. Nein, es gibt eine zweite, dort hinten.« Malchow zeigte in die Dunkelheit. »Aber mit der ist es wie mit dieser. Fest versperrt, seit langem, wahrscheinlich seit Gründung der Schule. Sie ist nicht einmal richtig zu sehen, weil das Holz für den Winter den ganzen Gang entlang aufgestapelt wird.«
»Auch vor der Tür? Sehr schön. Dann können wir wieder hinaufgehen.« Claes wandte sich zufrieden der Treppe zu. Er begann zu frösteln und fand, daß sie lange genug in der muffigen Dunkelheit gestanden hatten.
»Wenn Ihr erlaubt«, Wagner hielt die Laterne wieder hoch und leuchtete in den Gang, »ich möchte mir die Tür trotzdem gerne ansehen. Gewiß habt Ihr recht, und es ist völlig überflüssig, aber es dauert nur eine Minute. Wenn Ihr schon in den Hof hinaufgehen wollt, ich bin gleich bei Euch.«
Ohne Claes’ Antwort abzuwarten, marschierte er, die Laterne hoch über dem Kopf, in den Gang.
»Aber die Tür ist verschlossen«, rief der Klosterschreiber ihm nach, »seit Jahren nicht mehr geöffnet!« und eilte ihm mit kurzen Schritten nach – er trug dem hohen Besuch des neuen Scholarchen zu Ehren seine besten Schuhe mit den eleganten, allerdings sehr unpraktischen höheren Absätzen.
Claes setzte sich mißmutig auf den oberen Treppenabsatz und wartete. Die Schritte der beiden Männer im Gang wurden dumpfer, das Licht verschwand, und gerade als er sich überlegte, doch lieber im Hof zu warten – er hatte unter einer der Linden eine Bank entdeckt, genau richtig, um sich im Halbschatten von dem Ausflug in diese klamme Düsternis zu erholen –, hörte er Wagner rufen: »Monsieur Herrmanns, wenn Ihr das hier bitte ansehen würdet.«
Seine Stimme klang heller als gewöhnlich, und bevor Claes sich auch nur von den Stufen erhoben hatte, kam das Licht der Laterne schnell und schwankend näher.
Malchow kam eilig den Gang heruntergestolpert. »Es ist mir rätselhaft, ganz und gar rätselhaft. Ich hätte geschworen … «
Da hatte Claes ihm schon die Laterne aus der Hand genommen und war mit langen Schritten im Dämmer verschwunden. Wagner hockte am Ende des Ganges vor der zweiten Tür, die allerdings, anders als Malchow angenommen hatte, nicht hinter den Holzstapeln verborgen war. Der letzte Winter war hart gewesen, an der Mauer des Ganges lagen nur noch spärliche Reste des Wintervorrats, nicht mehr als zwei oder drei Körbe voll.
»Hier!« sagte Wagner, seine Stimme klang, als habe er just den Dieb des Ratssiegels auf frischer Tat ertappt. »Wenn Ihr die Laterne,
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