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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Und zwar sofort, leider.« Seine Stimme fand nun beinahe zu einem angemessenen amtlichen Ton zurück. »Es geht um eine äußerst wichtige Sache. Wenn Ihr ihn bitte holen wollt?«
    »Wenn es so eilig ist«, rief da die Männerstimme aus dem hinteren Raum, »stehe ich gleich zur Verfügung.«
    »Eilig«, sagte Wagner, »in der Tat eilig«, und marschierte schnurstracks an Emma vorbei in den hinteren Raum, in dem er sofort über die eisernen Griffe einer Zange stolperte und in einem alten Lehnstuhl landete.
    Der Uhrmacher, der inmitten einer Unmenge von weichen Tüchern, Holzspänen, flauschigem Kapok und Kästen verschiedenster Größe auf dem Boden hockte, lachte. »So ist es ganz richtig, Monsieur, setzt Euch nur in meinen alten Stuhl und seht mir noch einen Moment bei der Arbeit zu. Ich möchte nur schnell kontrollieren, ob alle Teile geliefert und sorgfältig numeriert sind. Sonst geht es mir womöglich wie Monsieur Kulubin. Der brauchte ganze drei Wochen, bis er die Teile eines der kostbarsten Automaten, die in unserer Zeit gemacht wurden, so sortiert hatte, daß er den Mechanismus begreifen und die Uhr endlich zusammensetzen konnte. Und dann? Dann brach in der Nachbarschaft ein kleines Feuer aus, sein ängstlicher Sohn warf flink alle Teile in eine große Kiste, und der gute Ivan Kulubin konnte wieder von vorne anfangen. Ist dieser kleine Sänger nicht wunderschön?«
    Godard zog behutsam ein Seidentuch von einem schimmernden Vogel, hielt ihn in das nur spärlich hereinfallende Licht und strich liebevoll mit den Fingerspitzen über das vergoldete Gefieder. »Dieser Automat wird nicht ganz so prächtig wie der, den Kulubin für den Fürsten Potemkin gebaut hat, aber dafür wird Mijnheer van Zoom sich lange selbst daran erfreuen, anstatt ihn der russischen Kaiserin Katharina zum Geschenk machen zu müssen wie Potemkin.«
    Die Automatenuhr der Zarin, erfuhr Wagner nun, war wie die für den holländischen Gesandten von James Cox in London gebaut worden. Allerdings unvergleichlich viel größer und kostbarer als dieser reichverzierte Vogelkäfig mit den beiden alle Stunde singenden Vögeln und der plätschernden Wasserfontäne, den kleinen goldenen Nashörnern an den vier Ecken des Käfigs und dem silbernen Elefanten auf dem Lapislazuli-Grund.
    Katharinas Uhrenkunstwerk war aus vergoldeter Bronze, etwa mannshoch und hatte die Gestalt eines Eichenstumpfes. Auf dem thronte ein lebensgroßer Pfau, der den Kopf schütteln, die Schwanzfedern entfalten und sich drehen konnte. Auf einem Zweig hockte unter Glöckchen, die eine zarte Melodie spielten, eine Eule mit blinzelden Augen, auf einem anderen ein Hahn, der zuzeiten krähte und sich das Gefieder putzte.
    »Und am Fuß des Baumstumpfs«, fuhr der Uhrmacher mit sichtlichem Stolz auf seinen Berufsstand fort, »wachsen Kürbisse und Efeu. Und Pilze. Im Hut des größten Pilzes sind Öffnungen, die in römischen Zahlen die Stunden und in arabischen die Minuten anzeigen. Die Sekunden zeigt eine Grille neben dem Pilz, sie bewegt sich sechzigmal in der Minute.«
    Godard hatte inzwischen einen zweiten Vogel ausgewickelt, von allen Seiten begutachtet, wieder eingewickelt und in seine Schachtel zurückgelegt.
    »Ihr müßt verzeihen, Monsieur, ich vergesse, daß Ihr es eilig habt. Ich habe sehr lange und mit großer Ungeduld auf diese Lieferung aus London gewartet, und sie ist gerade erst angekommen. Doch nun kann das Auspacken noch ein paar Minuten länger warten. Womit kann ich Euch dienen, Monsieur?«
    »Das ist eine sehr kostbare Lieferung.« Wagner ignorierte die Frage des Uhrmachers und zeigte streng auf die scheinbare Unordnung am Boden des Zimmers. »Sehr kostbar, in der Tat. Habt Ihr keine Sorge, daß jemand bei Euch einbrechen und sie stehlen könnte? Ihr zeigt mir das alles recht bedenkenlos, Ihr wäret nicht ganz unschuldig, wenn heute nacht … «
    »Aber nein, Monsieur.« Godard lachte vergnügt. »Bevor es Nacht wird, werden alle diese kostbaren Teile wieder in den Kästen und die in den drei Tonnen liegen, sorgfältig verpackt und gesichert, und von Mijnheer van Zooms Bediensteten abgeholt. Sicher wäre es praktischer gewesen, sie gleich in die Gesandtschaft am Valentinskamp bringen zu lassen, aber ich wollte sichergehen, daß alles unversehrt angekommen ist, bevor ich auch nur die Teile van Zoom präsentiere. Zusammensetzen werde ich den Automaten in seinem Haus. Er ist empfindlich, und die Erschütterungen beim Transport vom Berg in die Neustadt könnten die

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