Die zerbrochene Uhr
bitte, ein wenig senken würdet? Seht Ihr? Es ist nicht verstopft, und«, er wischte mit dem Finger über den ebenfalls uralten und rostigen Beschlag, »bestes Wagenfett. Jemand hat das Schloß wieder gängig gemacht. Malchow? Malchow! Wo seid Ihr?«
Ein Rumpeln verriet, daß Malchow zumindest in der Nähe war, ein Schmerzenslaut folgte, dann ein unterdrückter gänzlich unfrommer Fluch, und der Klosterschreiber taumelte in den Lichtkreis der Laterne.
»Das Schlüsselbund, Malchow.« Wagner hatte nun kein Auge für die staubigen Knie und die blutig zerschrammte Hand des Schreibers.
»Aber es wird nicht gehen«, jammerte der, »es ist schon immer verschlossen. Seit fünfzehn Jahren bin ich der Klosterschreiber, und vor mir mein Vater seit … «
»Das Schlüsselbund, Malchow.«
Das Schlüsselbund wanderte aus Malchows Tasche in Wagners fordernd ausgestreckte Hand.
»Dieses Schloß«, murmelte der Weddemeister, »mag Jahrhunderte versperrt gewesen sein, aber seit einigen Wochen oder Monaten ist es das nicht mehr.«
Er hielt das Schlüsselbund ins Laternenlicht und untersuchte es mit gespitztem Mund. Es bestand aus einem guten Dutzend Schlüssel an einem eisernen, wie eine gedrehte Kordel geschmiedeten Ring, die meisten waren riesig, so wie sie zu alten Türen gehörten, einige kleiner, passend für Truhen oder Salontüren. Wagner probierte alle. Nur fünf ließen sich überhaupt in das Schloß stecken, aber keiner ließ sich darin drehen. Er murmelte etwas, das nach Teufel und ähnlich Verderblichem klang, griff schließlich ärgerlich nach der Klinke, um sich daran hochzuziehen, das lange Hocken hatte sein linkes Bein einschlafen lassen – und fand sich flach auf dem Rücken liegend wieder. Die Tür vor ihm schwang mit sanftem Knarren weit auf. Die Schlüssel hatten sich nicht drehen lassen, weil die Tür gar nicht verschlossen war.
Der Raum, der sich ihnen hinter der Tür öffnete, unterschied sich kaum von dem Keller des Klosters. Er war genauso dunkel, nur sehr viel staubiger und sehr klein, nicht mehr als zehn mal fünf Fuß, und bis auf eine alte, vom vielen Gebrauch vor Urzeiten blankgesessene einfache Holzbank in einer Ecke neben einer Tür leer. Schon wieder eine Tür, und wenn deren Schloß auch genauso gut gefettet war wie das der vorigen, so war sie doch fest verschlossen. Keiner der Schlüssel am Bund des Klosterschreibers vermochte sie zu öffnen.
Der Vormittag war noch nicht weit vorangeschritten, doch die Sonne brannte schon heiß. Noch duftete es aus den Häusern, Läden und Werkstätten nach morgenfrischem Brot, nach gebratenen Würsten und der fetten Suppe, die ein Händler an einem Stand nahe dem Küterhaus feilbot. Aus der Möbeltischlerei am Plan roch es nach frisch gehobelten Spänen, und vor der Hufschmiede erhob sich nach dem Zischen des Eisens im Wassertrog der seltsam metallisch riechende Dampf. Aus irgendeinem Küchenfenster der reicheren Häuser drangen Aromen von Vanille und Zimt – Wagner liebte diese morgendlichen Düfte in den Straßen. Am meisten allerdings liebte er sie im Juni, wenn die Honigsüße der blühenden Linden all den anderen Gerüchen eine besondere liebliche Würze gab. Nur wenige Stunden noch, und der modrig-faulige Gestank aus den von der Sonne erhitzten Fleeten würde all diese köstlichen Aromen besiegen. Das war die Zeit, zu der alle, die es sich leisten konnten, einen Garten zu besitzen oder auch nur zu pachten, am Sonnabendnachmittag in ihre Kutschen oder in einen der Stuhlwagen stiegen, die vor dem Steintor zu mieten waren, und hinausfuhren in die großen Gärten am Ufer der Bille. Zu diesen Glücklichen gehörte ein Weddemeister nicht.
Wagner zog sein großes, blaues Tuch aus der Rocktasche und wischte sich den Schweiß vom Nacken. Es war schon ganz naß vom Wasser der Pumpe, das er sich im Klosterhof nach dem Herumkriechen in den alten Kellergängen über den Kopf hatte laufen lassen. Es nützte nicht viel, doch es gab ihm immerhin die Illusion einer Erfrischung.
Er bog von der Knochenhauerstraße in den Berg ein, drängte sich durch das Gewimmel auf dem großen Platz und blieb bei einer Händlerin stehen, die auf einem umgedrehten Korb saß und Zimtkringel feilbot. Sie schwatzte mit ihrer Nachbarin, allerdings nicht ohne nach jedem halben Satz ihr lautes »Ziiiimtkringel, süße Ziiiimtkringel« zu rufen. Die andere stand hinter einer Kiepe, aus der sechs grob geschnitzte Köpfe von Steckenpferden ragten, und hielt Gerten mit zu Windmühlen
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