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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Papist sein, weil er lange vor Doktor Luther gelebt hat. Seht!« Die Domina legte, nun doch mit einer schmalen Falte der Ungeduld auf der Stirn, ihren Zeigefinger auf die Lippen. »Dies ist ein altes Haus, es knarrt ständig im Gebälk, und dann sind da die Katzen und trotz der Katzen auch Mäuse, womöglich eine der großen Wasserratten, die sich vom Alsterufer ins Trockene verirrt hat. Geduldet Euch ein wenig. Sobald ich Madame Kjellerup verabschiedet habe, lasse ich Euch rufen, und wir reden über das, was Ihr heute wieder gehört habt. Wenn Ihr wollt, steigen wir sogar in den Keller hinab.«
    »Ja, gewiß. Ein wenig Geduld. Verzeiht meine Aufdringlichkeit, es erschien mir so außerordentlich wichtig.«
    Mademoiselle Meyerink atmete wieder ruhiger, ließ, ohne sie wirklich anzusehen, ein entschuldigendes Lächeln zu Augusta hinüberflattern, beugte grüßend den Kopf und verschwand mit eilig trippelnden Schritten durch den Vorraum und den Gang hinunter.
    Nun seufzte die Domina doch noch. Sie schloß behutsam die Tür, trat ans Fenster und blickte in die sonnige Landschaft hinaus. Eine Möwe segelte kreischend über das Fleet, und die Domina beugte sich ein wenig vor, um ihr nachzusehen.
    »Du mußt einen seltsamen Eindruck von uns bekommen«, sagte sie schließlich, immer noch zum Fenster hinaussehend. »Erst Lene, das dumme Trampel, und nun die gute Meyerink.« Sie seufzte noch einmal und wandte sich wieder Augusta zu. »Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du diesen – Auftritt vergessen könntest. Sie war schon immer sehr nervös und äußerst phantasievoll. Erinnerst du dich? Ach nein, sie wurde ja erst geboren, nachdem du Hamburg verlassen hast. Aber es ist wirklich nicht so, wie es heute schien. Sie ist hin und wieder ein wenig ängstlich, und Lärm, besonders Gewitter schrecken sie wie ein Huhn. Nun, ein wenig ist sie auch wie ein Huhn, flattert herum, sieht hier etwas, hört dort etwas anderes, und alles zusammen wird in ihrem Kopf zu manchmal recht konfusen Phantastereien.«
    »Und nun ist ihr der heilige Dominicus begegnet? Das klingt mehr als konfus, findest du nicht?«
    »Vielleicht. Aber wir leben hier bei all unserer Anteilnahme an dem, was außerhalb dieser Mauern geschieht, doch in unserer eigenen Welt. Die gute Meyerink vielleicht ein wenig mehr als die meisten von uns. Aber wen sollte das stören? Wir haben hier unseren Platz. Draußen«, sie machte eine kleine Pause, als suche sie nach einem nicht zu harten Wort, »draußen hatten wir keinen Platz. Dort haben wir keine eigene Familie, obwohl wir natürlich bei allen Festen unserer zumeist zahlreichen Verwandtschaft gerne gesehen sind, besonders bei Beerdigungen, wir singen ja so hübsch. Draußen durften wir außer Sticken und den Katechismus hersagen auch nichts lernen. Hier hingegen …“ Sie holte tief Luft. »Verzeih, Augusta. Ich bin nun alt, und mein Leben ist reich und friedvoll. Aber manchmal kommt mich die Arroganz gegenüber unverheirateten Frauen immer noch bitter an.«
    Sie legte beide Hände auf ihr Gesicht, und als sie sie wieder fortnahm, lächelte sie. »Die Sache mit dem heiligen Dominicus wird vorübergehen. Mademoiselle Meyerink litt in den letzten Wochen an einem leichten Sommerfieber, und jetzt im August ist es ohnehin recht heiß. Warum sie ausgerechnet diesen alten spanischen Mönch, der seit mehr als fünfhundert Jahren im Grab liegt, zu hören glaubt, ist mir allerdings ein Rätsel. Ich hoffe sehr, daß sie davon nichts außerhalb des Klosters erzählt. Es wäre viel schicklicher, wenn sie zumindest keinen Mann, Mönch hin oder her, phantasieren würde, sondern eine der frommen Zisterzienserinnen aus dem Kloster in Harvestehude, die vor immerhin nur zwei Jahrhunderten als erste Konventualinnen hier einzogen. Niemand hätte etwas gegen ein bißchen Spuk der guten alten Cäcilie von Oldessem einzuwenden.«
    Augusta hatte keine Ahnung, wer die ›gute alte Cäcilie‹ gewesen war, aber es interessierte sie im Moment auch überhaupt nicht. »Was hört Mademoiselle Meyerink denn, Mette? Schritte? Oder Stimmen? Oder hat sie gar jemanden gesehen? Es könnte doch wirklich jemand dort gewesen sein.«
    »Ich weiß es nicht genau, Augusta. Bis gestern habe ich überhaupt nicht richtig zugehört. Aber nun?«
    »Bis gestern. Und jetzt glaubst du, sie hat doch nicht nur phantasiert? Gibt es dort unten noch Verbindungstüren zum Schulflügel?«
    »Vielleicht hast du mir als Maus doch besser gefallen, Augusta. Warum mußt du es so

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