Die zerbrochene Uhr
Söhne als besondere Gnade Gottes zu verstehen, aber ein bißchen weniger Gnade, etwa ausreichend für vier Söhne, hätte er als noch größere Gunst empfunden. »Lärm und Schmutz, ja«, wiederholte er, »die Ehrwürdige Jungfrau Domina verabscheut Lärm und Schmutz.«
Claes nickte, und Wagner sagte: »Dann gehen wir am besten gleich in den Keller hinunter. Geht voraus, Malchow, wir verlaufen uns sonst nur.«
Malchow, der dem Weddemeister bisher nur ein knappes Kopfnicken gegönnt hatte, blinzelte irritiert, klapperte mit dem Schlüsselbund und öffnete die Tür zum Klosterkeller. Der Schlüssel, groß wie ein Suppenlöffel, schnarrte ein wenig in dem alten Schloß, aber das leistete keinen Widerstand, und Malchow schob die Tür mit den gut gefetteten Angeln weit auf. Der muffige Geruch alter Gewölbe schlug ihnen entgegen, und Claes spürte den kühlen Hauch aus langen, dunklen Gängen, die nie ein Sonnenstrahl erreicht. In einigen Wochen würde die Muffigkeit vom Duft der Äpfel gemildert werden, die jetzt noch an den Bäumen in den Gärten der Klostergüter reiften. Die langen Holzgestelle mit ihren niedrigen Fächern waren in dem schummerigen Licht der Laterne im ersten Raum schemenhaft zu erkennen. An der anderen Wand standen hölzerne Tonnen, säuerlicher Geruch verriet in Essigwasser eingelegte Gurken, Kraut und anderes Sauergemüse. Irgendwo in dieser Düsternis würden auch Säcke voller Zucker, Salz, Mehl und Getreide, Körbe mit getrockneten Bohnen, Erbsen und Linsen lagern. Kürbisse und Zwiebeln, auch Sandkisten voller Rüben und Karotten, Fässer mit gepökeltem Fleisch – dieser Keller barg nichts anderes als der Herrmannssche. Der durchdringende Duft von Geräuchertem, von Würsten, Speck und Schinken fehlte. Das alles hatte auch hier seinen Platz in der Küche. Er trat zur Seite, damit Wagner mit der Laterne dem Klosterschreiber folgen und ihm leuchten konnte.
Daß die Wäscherin Monsieur Donner vor einiger Zeit an der Klostertür gesehen hatte, mußte nicht viel bedeuten. Er konnte sich nicht vorstellen, was der da gesucht haben mochte. Vielleicht hatten ihm seine Schüler einen Streich gespielt. Oder er war einfach nur neugierig gewesen. Aber es machte wenig Mühe und konnte nicht schaden, sich auch in diesem Teil des alten Klosters ein wenig umzusehen.
»Hier beginnen, wie Ihr seht, die Lagerkeller«, sagte der Klosterschreiber am Fuß der Treppe und zeigte nach rechts in einen großen, düsteren Raum. »Weiter hinten, unter der Wohnung der Domina an der Fleetseite, schließen sich die Wohnungen der Wäscherin, des Klosterknechts und die Küche an.«
»Und an der anderen Seite? Zum Johanneum hin?“ Wagner hielt die Laterne hoch und leuchtete in den Gang, der sich direkt vor ihnen auftat. Eifriges Rascheln und das Geräusch vieler winziger Füße verriet eine ganze Mäusefamilie auf der Flucht vor dem Licht und den unerwarteten Eindringlingen in ihr Reich.
»Dort wird nur das Feuerholz gelagert. Jetzt ist der Gang ziemlich leer. Die Winterlieferung kommt erst im Oktober. «
»Aber die Küche und die Wäscherei brauchen doch auch jetzt Holz.«
»Gewiß, Meister Wagner.« Der Klosterschreiber hatte beschlossen, daß ein wenig Respekt gegenüber dem Begleiter des Scholarchen doch von Vorteil sei, auch wenn der nur ein Weddemeister war. »Die Küche hat einen eigenen Holzraum, direkt neben ihrer Tür, von dort holt auch die Wäscherin ihr Holz. Der Holzraum der Küche verschließt diesen Teil des Ganges. Sozusagen. Früher konnte man dem Gang gewiß wie im Kreis unter dem ganzen Gebäude folgen. Hier vor uns wird nur das Holz für die Winterfeuerung der Wohnungen der Jungfrauen gelagert. Von April bis Oktober betritt deshalb niemand diesen Gang. Er endet an der Rückseite des Holzraumes der Küche. Dort gibt es aber keinen Durchlaß.«
»Man kann also nicht durch den ganzen Keller gehen? Wenn ich durch diese Lagerräume gehe und weiter den Gängen folge, komme ich nicht am anderen Ende hier wieder heraus?«
Malchow schüttelte den Kopf. »Früher mag das, wie ich schon sagte, möglich gewesen sein, Meister Wagner. Nun liegt der Holzraum der Küche dazwischen, und das muß schon viele Jahrzehnte so sein.«
»Und diese Tür hier, Malchow? Wohin führt die?“ Claes Herrmanns drückte auf eine staubige hölzerne Klinke, die für die Hand eines Riesen gemacht schien, an einer Tür gleich neben dem Fuß der Treppe. Ihr Holz war uralt, rissig und unter dem in alle Furchen und Risse gedrungenen
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