Die zerbrochene Uhr
letzten Jahren neu gesetzten Bäume, selbst die Blumenbeete auf der anderen Seite des Hauses, die er für nichts als ein wildes Durcheinander gehalten hatte, das seine Gärtnerehre ernstlich in Gefahr brachte, lockten neugierige Besucher an. Um seine Ehre machte er sich inzwischen keine Sorgen mehr, außerdem wußte die ganze Stadt, daß Madame Herrmanns’ Geschmack, besonders was ihren Garten betraf, recht eigen war. Nach der Natur sollte der sein, das klang nicht schlecht, aber Kampe konnte sich nicht vorstellen, warum man dazu einen Garten anlegte, so ungebärdig und wild. Levkojen neben Rittersporn, Gartennelken, Tunisblumen, Indianische Sonnenblumen, Marienglocken und Karthäusernelken, dicke Büsche von Johanniskraut und weißen und blauen Marienglocken. Dann diese Tomaten. Die Fruchtstände wurden ja hübsch rot, es hieß, daß manche Leute sie sogar aßen, aber sie hatten nur mickrige Blüten, und das Kraut roch streng. Wenigstens die Rosen hatten ein langes Beet vor dem Haus und ein Rondell im hinteren Garten für sich, aber sie wuchsen dort in allen Farben und die meisten in üppigen Büschen, nicht vornehm an halbhohen Stämmen wie die in Böckmanns Garten. In einer Ecke ließ sie sogar Kornblumen und Klatschmohn, in einer anderen, bei der Pumpe, Kapuzinerkresse machen, was sie wollten, und jeder wußte, daß die vor allem viel Platz wollten, jedes Jahr mehr, wie die Primeln und der Löwenzahn, die sie sich auf der Wiese am Ufer ausbreiten ließ. Da konnte sie ja gleich nach Eppendorf rübergehen, durch die Wiesen und die Eichenwälder, am Alsterufer entlang bis zu den Teichen, da sah es im Frühsommer auch nicht viel anders aus.
Andererseits mußte er zugeben, daß das, was sie als natürlich verstand, inzwischen recht hübsch war. Gediegen, aber doch hübsch anzusehen. Eigentlich war es auch angenehm, nicht immer nur die gleichen Pflanzen in von gestutztem Buchsbaum umrandete kleine Beete einzuzwängen. Es kamen nun auch viel mehr Schmetterlinge, und Schmetterlinge mit ihren zarten oder leuchtenden Farben, ihrem leise wippenden Flug, die liebte er sehr.
Aber so ein Springbrunnen? Es mochte lauschig sein, wenn es ein bißchen plätscherte, doch hier plätscherte es schon vom Alsterufer her. So ein Ding machte nur Arbeit. Nun war es auch noch verstopft, und er hatte keine Ahnung, wie es funktionierte.
»Du wirst das ganze Ding auseinandernehmen müssen, Kampe. Macht ihn sauber, dann springt er wieder, dazu ist er schließlich da.«
»Kann auch sein, daß ein Rohr kaputt ist, das muß man mal sehen, Madame. Das dauert, und ich dachte, ich soll zuerst die Rosen, also, die trockenen Blüten müssen ab, und bei dem Rittersporn ist auch viel dürres Zeug … «
Der Wind wehte matte Glockenschläge herüber, und Rosina, die mit wachsendem Amüsement dem Disput, beinahe war es ja einer gewesen, zugehört hatte, legte Anne leicht die Hand auf den Arm. »Vielleicht hat der verstopfte Springbrunnen bis Montag Zeit«, sagte sie, »der Rittersporn sieht wirklich recht struppig aus, und gewiß will Kampe rechtzeitig zum Abendessen bei seinen Kindern sein. Nicht wahr, Kampe?«
Der Gärtner, verblüfft über die unerwartete Schützenhilfe, nickte und zog sich den Hut wieder tief in die Stirn. »Ja, das ist richtig, beim Abendessen, ja. Heute ist Sonnabend, Madame, und da … «
»Schon gut, Kampe, daran habe ich nicht gedacht, natürlich sollst du pünktlich zu Hause sein. Dann schneide jetzt die alten Blüten und Dolden aus, aber bis Montag abend will ich, daß der Springbrunnen wieder plätschert.«
»Abendessen«, knurrte sie, als Kampe mit der Geschwindigkeit eines alten Meutehundes am Abend einer Treibjagd um die Hausecke verschwunden war, »der sehnt sich nicht nach seinen Kindern, sondern nach seinem Bier.«
»Du bist streng heute, Anne. Ob seine Kinder oder das Gasthaus, gönne ihm doch seinen Sonnabendabend.«
»Habe ich mich als Sklavenhalterin gebärdet? Wahrscheinlich hast du recht. Es ist schon seltsam. Als der Strahl des Springbrunnens heute immer dünner und kleiner wurde und schließlich ganz versiegte, wurde ich tatsächlich ein bißchen ungeduldig. Ach was, ich wurde wütend. Ist das nicht albern? Nur wegen so einem bißchen Wasser? Aber die Sommer scheinen mir hier so kurz. Das Geräusch des Springbrunnens an einem warmen Abend gibt mir immer das Gefühl, der Sommer sei endlos und diese Monate voller kalter Nebeltage kommen niemals wieder.«
Anne Herrmanns hatte Heimweh. Das war nicht zu
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