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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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unangenehm, aber wahrscheinlich ein Glück für uns ist. Also wird er auch dich befragen wollen. Er will alles über ihn wissen, obwohl mir nicht ganz einleuchtet, wozu das nun, da er tot ist, noch gut sein soll. In schlechter Gesellschaft, der man eine solche Tat zutrauen könnte, ist er ganz gewiß nicht zu Hause gewesen. Aber wer weiß, vielleicht doch? Das wäre in der Tat ein Segen, wenn irgendein Spitzbube aus den dunklen Löchern der Gängeviertel … « Er verschluckte das Ende dieses Gedankens. Es würde Simon kaum beruhigen, düstere Spekulationen über die Hintergründe der Untat zu hören. »Gewiß nimmt der Weddemeister an, daß du am meisten über ihn weißt: Mit wem er verkehrte, wie er seine freie Zeit verbrachte und so weiter. Wenn er kommt, lasse ich dich rufen, und dann ist es schnell vorüber.«
    Simon verschwand in seinem Zimmer, mit leisen, unauffälligen Schritten, wie gewöhnlich, und der Rektor eilte in die Küche, Madame Müller zu bitten, eine Kanne Schokolade für Simon zu kochen und dabei nicht an Zucker und Vanille zu sparen.
    Sein Verdacht gegen Simon, wenn es auch nur der Hauch eines Verdachtes gewesen war, erschien ihm nun absurd. Doch wenn selbst er diese Gedanken gehabt hatte, was mochte erst jemand denken, der den Jungen nicht kannte? Was erst ein Weddemeister? Andererseits, wußte er tatsächlich so viel mehr als ein Fremder von Simon? Wußte er wirklich, was er in seiner freien Zeit tat, mit wem er sich traf? Was in der Tiefe seiner Seele verborgen lag? Hatte er sich mehr um ihn gekümmert als irgendein Pensionswirt? Hatte er nicht freudig angenommen. daß dieser Junge endlich mal einer war, um den man sich nicht zu kümmern brauchte, den man nicht ständig kontrollieren mußte, der sich still und zufrieden in seinem Haus bewegte, seinen Pflichten unaufgefordert nachkam und keine Mühe machte? Womöglich war das ein Irrtum gewesen. Womöglich hätte gerade diese Unauffälligkeit ihm zeigen müssen, daß er mehr Beachtung brauchte. Wenn dies alles vorbei war, wollte er das ändern, dann wollte er Simon, egal wie still und zufrieden er schien, weniger als Pensionisten und mehr als geschätzten Gast in seinem Haus behandeln.
     
    Johann Samuel Müller hatte sich umsonst gesorgt. Wagner kam wie angekündigt am Nachmittag, diesmal ohne Claes Herrmanns, der als Mitglied der Commerzdeputation mit Vertretern der Admiralität und der Lotsenbrüderschaften wieder einmal und immer noch über die Beseitigung der treibenden Elbsände streiten mußte. Tatsächlich verlangte Wagner, als erstes Simon zu sprechen, ganz wie Müller erwartet hatte. Es hatte ihn schon gewundert, daß der Weddemeister so viel Zeit hatte verstreichen lassen. Wagner schlug den angebotenen Stuhl aus, stellte sich mit dem Rücken an das Fenster von Müllers Arbeitszimmer und erwartete den Schüler und Neffen des Toten. Nein, er habe nichts dagegen einzuwenden, wenn der Rektor bei diesem Gespräch zugegen sei, ganz im Gegenteil. Was dazu führte, daß der das unbehagliche Gefühl hatte, Simon werde zwar befragt, er selbst jedoch genauestens beobachtet.
    Simon betrat den Raum, sah dem Weddemeister trotzig ins Gesicht und gab sich nicht die geringste Mühe, seine Hände zu verbergen. So war die erste Frage: Was denn mit seinen Händen geschehen sei? Simon gab bereitwillig Auskunft. »Soso«, sagte der Weddemeister nur und fragte, ob er Freunde seines Onkels kenne oder Lokalitäten, in denen er verkehrt habe. Simon wußte nichts davon. Falls der Weddemeister es seltsam fand, daß ein Neffe nichts vom Leben seines Onkels wußte oder zu wissen vorgab, ließ er das nicht erkennen. »Soso«, sagte er noch einmal, und dann fragte er: »Diese Strafe«, er schob sein Kinn in Richtung der Hände vor, »wann hast du die bekommen?«
    »Nach dem Vormittagsunterricht vor der Mittagspause.«
    Wagner mußte nicht fragen, von welcher Mittagspause der Junge sprach.
    »Soso«, sagte er wieder, und der Rektor begann nervös zu werden. »Dann hast du ihn wohl als letzter gesehen. Und was hast du dann gemacht?«
    »Dann habe ich die Schule verlassen.«
    » Und?«
    »Vor dem Tor wartete ein Freund, und mit ihm bin ich an das Klosterfleet hinter dem Gymnasium gegangen. Ich habe die Hände ins Wasser gehalten.«
    »Du hast dem Freund erzählt, was passiert war?«
    »Natürlich. Er hatte es gleich gesehen.«
    Wagner nickte. »Wer ist denn dieser Freund? Auch ein Johanneumschüler?«
    »Ja, aus der Tertia. Er heißt Niklas Herrmanns.«
    Rektor

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