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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Müller atmete erleichtert auf. Der Sohn des neuen Scholarchen. Wer hätte Simon in dieser schrecklichen Mittagspause unter den gegebenen Umständen eine bessere Gesellschaft sein können?
    »Und mit ihm hast du die ganze Pause verbracht.« Der Weddemeister schien nicht so erfreut wie der Rektor.
    »Nein«, Simon schüttelte ernsthaft den Kopf. »Niklas mußte bald zum Mittagessen nach Hause, und danach hatte er seinen Privatunterricht. Ich war alleine. Ich bin zum Hafen hinuntergegangen und habe zugesehen, wie ein Schiff entladen wurde.«
    »Alleine am Hafen. So. Was war das für ein Schiff?«
    Simon zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau. Ein Schiff eben. Ich glaube, es war eine Bark.«
    Eine Bark! Müller begann zu schwitzen. Was für eine Antwort. Die meisten der großen Segler in Europas Überseehäfen waren Barken. Der Weddemeister wollte den Namen wissen, wollte wissen …
    »Eine Bark, soso. Den Namen weißt du gewiß auch. Oder was für eine Galionsfigur sie am Bug trägt?«
    Nein, den Namen wußte Simon nicht. »Aber ich glaube, es war ein spanisches Schiff. Jedenfalls sprachen einige der Männer, die die Säcke und Fässer in die Schuten luden, spanisch. Zwei sprachen aber auch holländisch miteinander. Ich kann Euch das Schiff zeigen, sie hatten erst mit dem Entladen begonnen, es kann noch nicht wieder ausgelaufen sein.«
    Immerhin, das Schiff würde noch viele Tage, vielleicht sogar einige Wochen im Hafen liegen, bis seine Fracht gelöscht und eine neue gefunden und geladen war. Aber das schien Wagner nicht mehr zu interessieren. Er berührte die rechte Hand des Jungen, sah sich suchend um, griff nach dem Brieföffner auf dem Sekretär des Rektors, ein hübsches Stück aus poliertem ziseliertem Silber, und reichte ihn Simon. Der nahm ihn zögernd, und Wagner sagte: »Halt fest.«
    »Warum?«
    »Halt ihn einfach fest. So, ja, nun noch fester.«
    Und schon hatte Wagner das glänzende Stilett aus Simons Fingern gezogen.
    Damit war er entlassen. Es war möglich, daß der Junge mit dem Tod des Onkels, den er gewiß nicht geliebt hatte, zu tun hatte. Aber er konnte ihn nicht selbst erstochen haben. Wagner hatte seine Hände gesehen und gleich erkannt, was geschehen war. Und sich auch gleich erinnert, daß mit einer Gerte malträtierte Jungenhände tagelang schmerzen, kraftlos bleiben und nichts, nicht einmal eine Feder festzuhalten vermögen. Geschweige denn eine tödliche Waffe durch Kleider und Rippen eines Mannes zu stoßen.
    Simon Horstedt, dachte er, kann es nicht gewesen sein. Aber er wird mehr als einen Freund haben, und vielleicht waren nicht alle nur schüchterne Kinder aus gutem Hause wie Niklas Herrmanns.

SPÄTNACHMITTAG
     
    »Kann sein, da sind Blätter drin, Madame, oder nur ‘n Brocken Erde. Kann auch ein Käfer sein, Käfer sind dumm, die fallen in alles rein. Und die sind hart. Die können so’n paar Tropfen Wasser nicht rausdrücken. « Der Gärtner schob seinen Hut zurück, wischte mit dem Handrücken einen Schweißtropfen von der Nasenspitze und betrachtete mit vorgeschobener Unterlippe den Springbrunnen, aus dem kein Wasser mehr sprang, sondern nur noch ein müdes Rinnsal herauströpfelte. »Da kommt nicht mehr viel durch. Verstopft ist verstopft.«
    »Das sehe ich, Kampe, aber was machen wir jetzt? Dies ist ein Springbrunnen. Der ist dazu da, daß hier«, Anne Herrmanns zeigte energisch auf die dicken Lippen des steinernen Fisches in den molligen Armen eines Amors, der in der Mitte des Beckens im Trockenen stand, »genau hier Wasser herausspringt. Ob Blatt oder Käfer, du mußt es rausholen.«
    »Der Käfer ist sowieso tot, Madame, dem hilft jetzt nix mehr.«
    »Das ist traurig, Kampe, aber im Moment ziemlich egal.« Der Rest von Geduld in Annes Stimme klang, als würde er nicht mehr lange vorhalten.
    Kampe war ein guter Gärtner. Unter seinen Händen gediehen der Garten und der Park um das Herrmannssche Sommerhaus an der äußeren Alster, als sei Demeter persönlich am Werk. Wobei Anne nicht sicher war, ob die griechische Göttin sich nicht nur um Getreide und Gemüse zu kümmern hatte. Wenn es so war, machte sie hier eine Ausnahme. Der Boden war sumpfig und sauer gewesen, Kampe hatte es verstanden, ihn so zu entwässern und mit allerlei Substanzen anzureichern (von denen eine nur schlichter Sand gewesen war), daß alles, was Anne ihm zu pflanzen auftrug, aufs Prächtigste gedieh. Bis auf das Spalierobst, das kümmerte schon seit dem letzten Sommer. Doch alle anderen in den

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