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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hatte auch etwas von Monsieur Watteau gemurmelt, aber das hatte Mette überhört. Die Werke eines so frivolen Malers konnten kein Vorbild für das Porträt einer Domina sein.
    Sie lehnte in ihrem Stuhl, bemühte sich, dem jungen Mann ihr gegenüber nicht ständig ins Gesicht zu sehen, und dachte, van der Smissen sei ein großer Porträtist gewesen, ganz bestimmt, aber sein Vorname gefalle ihr in diesen Tagen überhaupt nicht. Dominicus. Sie mußte sich wirklich mehr um die arme Meyerink kümmern. Wahrscheinlich langweilte die sich nur. Auch eine Konventualin brauchte eine Aufgabe. Sie seufzte, und Paul Tulipan sah von seiner Arbeit auf.
    »Langweilt Ihr Euch, Ehrwürdige Jungfrau?«
    »Ich langweile mich nie«, antwortete sie knapp. »Ich habe immer genug zu bedenken. Es reicht übrigens, wenn Ihr mich mit Domina ansprecht.«
    Er neigte zustimmend den Kopf, leider ohne sein türkisschimmerndes Lächeln, und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Auch sein Haar war hübsch, von der Farbe alten polierten Buchenholzes mit leicht rötlichem Schimmer, und dort, wo es von den durch das Fenster fallenden Sonnenstrahlen getroffen wurde, glänzten feine goldene Fäden auf. Es fiel von einem schwarzen Band gehalten weich über seinen gebeugten Nacken und den Kragen seines nachtblauen Samtrockes. Es muß sein Vater gewesen sein, dachte Mette und fühlte sich für einen Moment gar nicht mehr als Domina. Dann versuchte sie sich genauer zu erinnern, erkannte, daß es eher sein Großvater gewesen sein mußte, und fühlte sich sofort wieder als würdevolle, leider auch betagte Domina. Diesmal gelang es ihr, nicht zu seufzen.
    Paul Tulipan, hatte Madame Bauer gesagt, sei nicht nur ein wahrer Zauberer in seiner Kunst, sondern auch aus gutem bremischem Haus, was man von einem Maler nicht unbedingt erwarten könne, aber es sei doch sehr angenehm, wenn einer sich zu benehmen wisse. Dabei hatten ihre Augen auf eine Weise geglänzt, die Mette van Dorting sehr befremdlich fand. Heute verstand sie es besser. Dann hatte Madame Bauer noch erzählt, Tulipan sei der jüngste Sohn seiner Familie, er habe nur gegen den größten Widerstand seines Vaters und mit Hilfe seiner kunstliebenden Mutter, die zum Glück über eigenes Geld verfüge, von einer Großtante, oder hatte sie eine ältere Cousine beerbt?, also nur mit Hilfe der Mutter das Malerhandwerk erlernen dürfen. Allerdings nicht in Bremen, das wäre nun doch zu peinlich gewesen, und im nächsten Jahr werde er nach Italien reisen, um dort, an der Wiege der Kunst, seine Talente weiter auszubilden. Die Domina verstand nun auch, warum Madame Bauer nur sich selbst, nicht jedoch ihre Tochter Henny von Tulipan hatte malen lassen. Madame Bauer, dachte die Domina, war eine leichtfertige Person mit zu vielen dummen Gedanken. Punktum. Im letzten Jahr hatte sie ihre Familie und auch etliche andere mit einem schweren Anfall von Frömmelei gequält, in diesem Jahr war die Kunst dran. Wenn man denn das einfache Abmalen von Gesichtern als Kunst betrachten wollte.
    Lautes Poltern auf der Treppe, das eilig über den Gang näher kam, ließ sie wieder kerzengerade sitzen. Da wurde auch schon die Tür aufgestoßen, ein Klopfen hatte sie nicht gehört, und die Köchin stob herein, ihre Beute fest am Ärmel hinter sich herziehend.
    »Hier ist sie, Ehrwürdige Jungfrau, hier ist die feine Mademoiselle. Ich hab gewußt, die ist nicht, was sie sein soll. Im Keller haben wir sie gefunden, versteckt hat sie sich, aber da kann sie machen, was sie will, geklaut ist geklaut.«
    Die Köchin holte tief Luft, doch bevor sie ihre Tirade fortsetzen konnte, sagte die Domina: »Es ist genug, Magda. Laß das Mädchen los, du brichst ihr sonst den Arm. Und Euch, Monsieur Tulipan, wäre ich sehr dankbar, wenn Ihr für einige Minuten im Nebenzimmer warten würdet. Ihr seht ja, wir haben ein kleines Problem, das umgehend gelöst sein will. Wenn ich bitten darf!«
    »Verzeiht, Domina.« Paul Tulipan erhob sich eilig. Er sah die Köchin mit dem hochroten Gesicht, den blitzenden Augen und feuchten Lippen, die über den kräftigen Armen aufgerollten Ärmel ihrer dunkelblauen Bluse. Vor allem aber sah er die junge Frau in einem Gewand, das ohne Frage ein Nachtkleid war, an einigen Stellen eingerissen und von oben bis unten mit Flecken und Streifen von schwarzem Staub bedeckt, auch ihre Hände und Füße waren schmutzig wie ihr blondes Haar, das ungebändigt und zerzaust über ihre Schultern fiel. Noch immer hielt die Köchin den Arm der

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