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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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im Nachtkleid verschwinde, sei das wohl eindeutig. Am besten, man suche mal in der Stube des Klosterschreibers, der sei wohl häßlich wie die Nacht, aber immerhin ein Mann. Was die Domina überhörte, weil sie sich schon vor vielen Jahren angewöhnt hatte, Unsinn zu überhören. Rosa, sagte sie und klopfte Ruhe einfordernd energisch mit den Knöcheln auf den Küchentisch, sei womöglich in aller Frühe zum Herrmannsschen Haus gegangen, das sei ihr ausdrücklich erlaubt. Wenn es auch mehr als ungehörig sei, fügte sie in Gedanken hinzu, dies ohne Nachricht zu tun und gerade am Morgen, wenn sie besonders gebraucht werde. Man werde bis zum Zehn-Uhr-Läuten warten, fuhr sie laut fort, wenn sie bis dahin nicht erschienen sei, solle die Köchin jemanden nach dem Neuen Wandrahm schicken. Und nun wolle sie bitte ihren Tee.
    Inzwischen war es Viertel nach neun, und über der Aufregung um Rosas Verschwinden hätte die Domina fast den Maler vergessen, der für den heutigen Morgen bestellt war, um erste Skizzen für ein neues Porträt anzufertigen. Nun stand Amtsmeister Gehrmanns bester Schüler in ihrem Salon, betrachtete den Raum, das Licht und auch sein Objekt mit kühl abschätzenden Augen. Mette van Dorting war nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, sich dieser Prozedur auszusetzen, ganz besonders durch diesen jungen Mann mit Augen wie dunklen Türkisen in einem klaren Gesicht, das sie seltsamerweise an ihren ersten Ball erinnerte. Aber an diese so unendlich lange vergangenen Zeiten in einer anderen Welt mit einer anderen Mette wollte sie nun nicht zurückdenken.
    »Seid Ihr sicher, daß es jetzt der richtige Platz ist, Monsieur Tulipan?«
    Der schüttelte den Kopf, doch sein Lächeln ließ Mettes aufsteigenden Grimm schmelzen. Es war kein entschuldigendes Lächeln, wie es angemessen gewesen wäre, es war einfach ein freundliches Lächeln. Nicht ohne Respekt, aber ohne jede Unterwürfigkeit. Mette van Dorting erwartete und forderte Respekt, aber sie verabscheute Unterwürfigkeit. Jedenfalls meistens. An die Respektlosigkeit ihrer Köchin und die klebrige Unterwürfigkeit des Klosterschreibers hatte sie sich gewöhnt. Aus reiner Bequemlichkeit, was sie allerdings niemals zugeben würde. Sie hatte einfach keine Lust, die eine wie den anderen noch zu erziehen. Schon nach ersten Versuchen hatten sich diese beiden als solchen Übungen außergewöhnlich widerständige Subjekte erwiesen.
    »Nein, Ehrwürdige Jungfrau, nicht sicher, aber gleich werden wir es wissen. Nehmt bitte wieder Platz. Doch, jetzt bin ich sicher.« Er nickte zufrieden, als Mette wieder in ihrem Lehnstuhl saß, den Rücken kerzengerade, das Kinn vorgereckt, die Hände im Schoß gefaltet, wie es ihrer würdevollen Stellung entsprach.
    »Allerdings …«
    »Allerdings? Soll ich wieder aufstehen?«
    »Nein. Aber vielleicht könntet Ihr an etwas Angenehmes denken. Mit Verlaub, Ihr sitzt da und seht aus, als wolltet Ihr ein Strafgericht halten, dabei habe ich noch nicht einmal eine Skizze gemalt, für die Ihr mir gram sein könntet. Vielleicht denkt Ihr an einen hübschen Ausflug in einen Eurer Gärten vor dem Steintor oder an die Erträge der Eppendorfer Mühle. Oder Ihr lauscht einfach auf das Konzert vor Eurem Fenster. Ist das nicht ein Pirol?«
    »Nein«, behauptete Mette, die absolut nichts vom Gesang der Vögel verstand, es aber für an der Zeit hielt, Grenzen aufzuzeigen, »das ist eine Schwalbe.« Sie rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her. »Das Bild«, sagte sie schließlich, »soll nicht vorteilhaft werden, sondern würdig. Es ist für die Ahnenreihe, sozusagen, der Dominas in der Diele. Vorteilhaft! Ich bin doch kein junges Mädchen mehr, das als Braut auf den Markt gebracht werden muß.«
    Er versuchte, seine Züge zu beherrschen, aber das Grübchen in seiner rechten Wange machte alle Mühe vergeblich. »Ein vorteilhaftes Porträt, Ehrwürdige Jungfrau, schließt Würde nicht aus, und ein gutes Porträt zeigt mehr als die Gegenwart. Das junge Mädchen ist noch in Eurem Gesicht. Ich sehe es ganz deutlich.«
    »Ihr redet dummes Zeug«, sagte Mette. »Und nun fangt endlich an. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, faul herumzusitzen und mich anstarren zu lassen.«
    Es war dumm gewesen, auf Madame Bauers Geschwätz zu hören und nicht Meister Gehrmann selbst zu beauftragen, sondern seinen Schüler, von dem sie (und auch einige andere Damen) behauptete, seine Kunst reiche leicht an die des großen Dominicus van der Smissen heran. Sie

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