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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Diebin – wenn sie denn eine war – umklammert. Die stand bewegungslos. Er sah in das blasse, schmutzige Gesicht, und erkannte, daß es nicht die Bewegungslosigkeit einer Beute war. In diesem Gesicht sah er wohl noch Angst, aber in den Augen wuchsen Zorn und Empörung. Niemals hatte er widerstrebender einen Raum verlassen. Er schloß die Tür zum Schreibzimmer der Domina hinter sich und zögerte nur einen winzigen Moment, bevor er das Ohr fest an das Holz preßte.
    Mette van Dorting erhob sich aus ihrem Lehnstuhl, verschränkte die Finger vor der Taille und sah die Köchin und ihr neues Mädchen streng an. Was für ein Auftritt! Und schon der zweite in diesen Tagen, den jemand Fremdes miterlebte. Zuerst hatte sie Augusta die exzentrische Meyerink präsentiert, nun führte die Köchin Monsieur Tulipan ein halbnacktes Mädchen vor. Sie hoffte sehr, daß seine gute Herkunft noch nachwirkte und er nicht nur zu höflichen Plaudereien und Verbeugungen, sondern auch zur Diskretion erzogen worden war.
    »Nun noch einmal von vorne, Magda. Ein Satz nach dem anderen und zwar so, daß ich dir folgen kann. Du hast also Rosa im Keller gefunden. Nein, Rosa, du schweigst jetzt. Du wirst anschließend sagen, was du zu sagen hast. Bitte, Magda!«
    Die Köchin, endlich ließ sie Rosinas Arm los, platzte beinahe vor gerechtem Eifer. Sie sei in den Keller gegangen, um Rote Rüben und ein Stück Ingwerwurzel für die Suppe zu holen, und da habe sie es gleich bemerkt. Ein umgestürzter Korb habe im Gang gelegen, die ganze Erde und die Rüben daneben, ja, und dann habe sie nach den Weinvorräten gesehen und es auch gleich gemerkt. Das kleine Faß mit dem weißen Bordeaux tropfte, es war nicht richtig verschlossen, was ihr niemals, niemals! passieren würde, und der Korb mit den Aprikosen! Halbleer! Obwohl er gestern abend noch randvoll gewesen sei, der mit den guten, die kleinen blassen seien noch alle da. Die anderen Vorräte habe sie noch nicht überprüfen können, ganz sicher fehle noch mehr, denn da habe es plötzlich gepoltert. Sie habe sich furchtbar erschreckt, weil man doch wisse, daß im Keller, sie schluckte und sah die Domina unsicher an, daß da unten der heilige Dominicus herumgeistere.
    Mette van Dorting schickte einen nicht sehr frommen Spruch zum Himmel. Und sie war so dumm gewesen zu glauben, die Meyerink habe nur ihr selbst davon erzählt!
    »Aber dann«, fuhr die Köchin schon fort, »merkte ich, daß es gar nicht der Dominicus sein konnte, ich hörte nämlich eine Frauenstimme, nur ganz schwach, aber doch, irgendwie, und da habe ich das Küchenmädchen gerufen, Josefa, ja. Die kam sofort mit einer zweiten Kerze, ich hatte natürlich auch eine mitgenommen, und das Aschenmädchen kam auch. Das habe ich nach dem Klosterschreiber geschickt, der war aber nicht da, wer weiß schon, wo der sich wieder herumtreibt. Und dann sind wir dem Lärm nachgegangen, es hörte sich an, wie wenn jemand mit der Faust gegen eine Tür schlägt.«
    Die hintere Tür im Holzgang, von dort sei der Lärm gekommen. Obwohl die doch seit ewigen Zeiten abgesperrt sei, habe sie sie aufgemacht, ganz leicht sei es gegangen, da sei ihr Rosa entgegengefallen. »Wie ein nasser Sack, verzeiht den Ausdruck, aber genauso ist es gewesen, wie ein nasser Sack. Die Aprikosen und der Wein waren schon weg. Die hat sie bestimmt …«
    »Aha!« sagte die Domina energisch, und die Köchin verstummte. Mette van Dorting war inzwischen nicht mehr sicher, ob dieser Auftritt peinlich oder höchst amüsant war. Sie durfte nicht vergessen, Magda täglich einen Becher Melissentee zu verordnen, sonst platzte sie tatsächlich irgendwann, womöglich just an einem Tag, an dem hohe Gäste bewirtet werden mußten.
    »Aha«, sagte sie noch einmal, dann öffnete sie die Hände, sah Rosa kurz an und sagte: »Das war mutig, Magda, und ich bin gewiß, das alles hat dich sehr echauffiert. Am besten gehst du nun hinunter in die Küche und kochst eine Schokolade. Für alle, vergiß das Aschenmädchen dabei nicht. Ich werde mit Rosa reden, du kannst beruhigt sein, sie wird mir nicht davonlaufen. Und, Magda, du wirst mir keine Schokolade heraufbringen, bevor ich danach verlange.«
    Magda, die Köchin, hielt gar nichts von Malern, und die Unterstellung, sie habe irgend etwas mit diesen tagträumenden Farbklecksern gemein, hätte sie ernstlich erbost. Doch nun ging es ihr ganz genauso wie kurz zuvor Paul Tulipan: Noch nie hatte sie einen Raum widerstrebender verlassen. Trotz der Aussicht auf

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