Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Ein dumpfer Schlag war zu vernehmen.
»Träum schön weiter«, knurrte Masors Stimme.
Aus der Nähe war das Getrappel und Scharren von Sohlen zu vernehmen. Die Leibwächter hatten sie entdeckt. Taramis meinte, ihre Nähe bereits zu spüren. Er drückte das Handgelenk der Regentin fest zusammen. Sie schrie vor Schmerzen auf.
»Hört Ihr das?«, rief er. »Ich breche Eurer Regentin das Genick, wenn Ihr uns angreift.«
Das Geräusch der Schritte verstummte.
»Es ist so weit«, flüsterte Marnas.
Taramis drehte sich zur Mauer um. Völlig lautlos hatte sich darin ein großes ovales Loch gebildet. »Ihr geht vor«, bestimmte er. »Ich kann mich notfalls mit dem Stab verteidigen.«
Pyron lief als Erster mit eingezogenem Kopf in die Öffnung. Ihm folgten der staunende Oban, dann Aragor und schließlich Marnas.
»Danke für die Audienz«, sagte Taramis.
»Wenn Ihr meint, Uns entkommen zu können, dann irrt Ihr Euch«, zischte Lebesi. »Ihr bekommt Eure Strafe früher als …«
»Entschuldigt, wenn ich Euch nicht länger mein Ohr leihen kann, Hoheit. Denkt über meine Worte nach. Ach, und schickt niemanden in das Loch. Es wäre sein Todesurteil.«
Er ließ das Handgelenk der Regentin los. Kaum war er in den Durchgang geschlüpft, hörte er hinter sich ihre Schreie.
»Wir sind hier, Männer! Kommt und ergreift die Spione!«
Taramis lief in geduckter Haltung durch den Tunnel. Nach wenigen Schritten hörte er hinter sich den ersten Verfolger. Zum Glück war es kein Bogenschütze, und die Enge des Durchgangs ließ auch keinen gezielten Wurf mit der Lanze zu. Kurz darauf vernahm er von der anderen Seite Gabbars Stimme.
»Beeil dich. Veridas schwächelt schon.«
»Was meinst du, was ich hier tue?«, entgegnete Taramis. Er meinte ein Flimmern wahrzunehmen. Kehrten die ins Drüben versetzten Mauersteine etwa schon zurück? Das Ende des Loches kam näher. Gabbar streckte ihm die Hände entgegen.
»Tritt zurück«, keuchte Taramis. »Du darfst Ez nicht berühren.« Das Flimmern wurde heftiger. Es kam ihm vor als wäre die Luft zähflüssig. Endlich hatte er das Ende des Tunnels erreicht und stürzte in den Ratssaal. Vor ihm stand ein schweißüberströmter Veridas, gestützt von Marnas und Zur. Taramis fuhr auf der Stelle herum und rief in die Röhre: »Kehr um, Soldat, oder du stirbst!«
Er gewahrte eine rasche Bewegung, gefolgt von lautem Klappern. Schnell sprang er zur Seite. Die Lanze des Gardisten schlidderte über den Boden des Loches, schoss daraus hervor und zwischen den Beinen von Veridas hindurch. Als der Palastwächter dem Spieß folgen wollte, schloss sich die Wand.
Der Mann stieß einen grauenhaften Todesschrei aus. Sein Kopf, ein Arm und die halbe Brust ragten aus der Wand, der Rest des Körpers war wie eingebacken darin steckengeblieben. Das behelmte Haupt sank nach unten.
»Tut mir leid«, murmelte der Seher. Der verstörende Anblick des sterbenden Gardisten hatte ihn erblassen lassen. Zudem wirkte er ziemlich erschöpft.
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Taramis.
»Freunde«, meldete sich Oban mit bebender Stimme zu Wort. Auch ihm hatten die Umstände der Flucht sichtlich zugesetzt. »Wir müssen hier weg. Sofort! «
Eglon
M it großen Erwartungen war Taramis nach Peor gekommen, jetzt hatte er mit Gaal sein kostbarstes Faustpfand verloren und musste obendrein um sein Leben laufen. Auch Hauptmann Oban gehörte nun zu jener Gemeinschaft, die als Kreis der Zwölf auf Zin ihren Anfang genommen hatte. Jeder Einzelne der Gefährten war bereit, sich für die anderen aufzuopfern. Daraus schöpfte Taramis Hoffnung, obwohl ihre Lage sonst kaum Anlass dazu bot.
Aragor hatte hinter ihnen eine Wand aus Schatten errichtet, damit die Verfolger sie nicht sehen konnten. Die Schritte der Palastwachen und das Klappern ihrer Rüstungen hallten bedrohlich durch den Korridor. Von draußen erklangen Feuerglocken und Signalhörner. Ab und zu war durch offen stehende Türen ein Blick auf anrückende Löschkommandos und eilig herbeieilende Leibgardisten im Park zu erhaschen.
Der Gang schien sich endlos auszudehnen. Dabei liefen die Fliehenden denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Plötzlich wurde das Ende des Korridors mit Tageslicht geflutet und eine Stimme brüllte: »Marsch, Marsch, Marsch. Sie müssen hier irgendwo sein. Beeilt euch!« Fast gleichzeitig flog rechts eine Tür auf und das Mädchen mit den roten Haaren blickte Taramis aus ihren unergründlichen grünen Augen an.
»Mir nach!«, raunte er
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