Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
zu.
»Tötet sie!«, kreischte Lebesi und deutete auf die Gruppe ihrer umherschreitenden Doppelgängerinnen. Sie zitterte vor Zorn.
Die Bogenschützen wagten nicht, ihre Pfeile abzuschießen. Zu groß war die Gefahr, ihre Herrin zu treffen.
»Sorgt für Ablenkung, Freunde«, ließ Taramis seine Kameraden wissen. Weiterer Anweisungen bedurfte es nicht.
Masor verwandelte den Staub, der eben noch im Sonnenlicht getanzt hatte, in eine dichte Nebelwolke, aus der es zu regnen begann. Pyron setzte mehrere Wandbehänge in Brand. Und Aragor legte im Umkreis von etwa dreißig Schritten einen dichten Schatten über den Thron.
Derweil umfasste Taramis den Sternensplitter mit der Hand und hoffte, dass der Lauscher in der Halle des Kronrates noch nicht ermattet war. »Kater Zur! Sag Veridas, er soll ein Loch in die Wand machen.«
Es war wohl das erste Mal, dass es im Thronsaal regnete. Der Qualm von den brennenden Wandbehängen und Aragors Schattenwolke machten die Verwirrung unter den Palastwachen komplett. Am wenigsten beeindruckt davon zeigte sich die Regentin.
»Kreist sie ein und greift nach ihnen, dann könnt ihr die Trugbilder von den Betrügern unterscheiden«, schrie Lebesi.
Taramis war Stratege genug, um sich nicht so leicht das Heft aus der Hand reißen zu lassen. »Folgt mir«, rief er seinen Gefährten zu.
Im Schutz der künstlichen Schatten huschte er zum Thron und packte Lebesi am Handgelenk. »Ihr begleitet uns ein Stück, Hoheit.«
Sie spuckte ihm ins Gesicht. »Du Narr! Wenn du denkst, Wir seien eine wehrlose Frau, dann weißt du nicht, warum man Uns die Hexe von Peor nennt. Knie vor mir nieder!«
Plötzlich spürte er ein heftiges Schütteln, das von seinem Unterleib abwärts bis in die Zehenspitzen fuhr.
Und nicht weniger als er zitterte auch Lebesi.
»Wie machst du das?«, keuchte sie.
»Ich tue gar nichts.« Taramis hatte das Gefühl, seine Beine würden sich jeden Augenblick in Grütze verwandeln. Er zuckte zusammen, als ihm jemand unter die Achsel griff.
»Ich bin’s, Aragor«, sagte der Schattenschmied. »Komm, ich stütze dich.«
Die Regentin konnte der Körperkraft der beiden Männer nichts entgegensetzen. Sie war auch zu perplex, um nennenswerten Widerstand zu leisten. »Wir sind eine Spieglerin«, stammelte sie auf dem Weg zur hinteren Wand. »Es ist unmöglich, dass du Uns angreifst.«
Plötzlich verstand Taramis, was seine Beine so durchrüttelte. »Ihr versucht mich zu lähmen.«
»Natürlich, du Bauerntölpel, und zwar immerzu«, keifte sie. »Aber stattdessen werden Uns die Knie weich.«
»Weil wir beide Spiegler sind. Euer Angriff wird von mir auf Euch zurückgeworfen und fällt dann erneut auf mich. Er prallt immer wieder ab. Hört sofort auf damit.«
»Einen Teufel werde ich tun.«
»Aragor, töte sie.«
»Schon gut«, stieß Lebesi hervor. »Ihr habt gewonnen. Wollt Ihr jetzt Uns an Stelle Gaals mitnehmen?«
Am liebsten hätte Taramis gelacht. »Dann wären wir wohl eher Eure Geiseln. Ich bin nicht Euer Feind, Hoheit. Vielleicht denkt Ihr heute Nacht darüber nach, wenn Ihr in Eurem weichen Bett liegt.«
Das Beben war aus seinen Beinen gewichen, die stützende Hand des Freundes zog sich zurück und sie kamen jetzt schneller voran. Ab und zu sah er im Rauch und Nebel die Schemen der Palastwächter, die ihren Ring immer fester zuzogen. Aragor schmiedete noch dichtere Schatten, um ihnen ein Durchkommen zu ermöglichen.
»Du meinst also wirklich, du könntest mit deinen Kumpanen hier einfach so abhauen, um die Welt zu retten?«
»Haltet Euren Mund«, zischte Taramis und presste Lebesis Handgelenk noch fester zusammen. Ihm war klar, dass die Regentin mit ihrem Gezeter nur die Leibwächter anlocken wollte.
»Du tust Uns weh!«
»Ich habe noch nicht einmal damit begonnen.«
Sie sah endlich ein, dass sie sich mit ihrem Starrsinn nur selbst in Gefahr brachte. Ohne weiteren Widerstand ließ sie sich durchs dichte Gewölk führen. Während die Gruppe sich der Trennwand zwischen Thronsaal und Ratshalle näherte, hoffte Taramis inständig, dass Veridas nicht versagte. Bei ihrer Flucht aus dem Gefangenenlager auf Zin hatte er die Steine für den Durchgang nicht gerade schnell ins »Drüben« versetzt, wie er sich auszudrücken pflegte.
»Da ist die Mauer«, flüsterte Pyron.
»Aber kein Loch«, fügte Aragor hinzu.
»Zur«, richtete Taramis das Wort an den Lauscher. »Wir warten! Veridas soll sich beeilen.«
»Ich habe sie!«, brüllte plötzlich jemand aus den Schatten.
Weitere Kostenlose Bücher