Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
stirbst.«
Unter ihm spannte sich der mächtige Körper des Feuermenschen. Seine gewaltigen Muskeln schienen wie wilde Tiere am Käfig des Brustpanzers zu rütteln. In einem Ringkampf hätte dieser Gegner Taramis wohl mit Leichtigkeit abgeschüttelt. Nur der kalte Stahl an der Brust machte Reghosch gefügig. Umso mehr Hohn schwang in seiner Stimme mit.
»Bist du nicht als Bluträcher gekommen? Dann benimm dich nicht wie ein Feigling.«
Taramis biss die Zähne zusammen. In seinen Ohren rauschte es wie unter einem Wasserfall. Er war kein Feigling. Und ja, dieses Scheusal verdiente den Tod. Selbst das Schwert in seiner Hand schien es ihm zuzurufen: Ich bin bereit, stoße zu!
»Nein!«, keuchte Taramis. »Ich will nicht blinde Rache, sondern Gerechtigkeit. Bekennst du dich schuldig, eigenhändig die Nebelwächterin Xydia und meine Mutter ermordet zu haben?«
»Da gibt es nichts zu gestehen.«
Taramis beugte sich zum Ohr des Antischs herab und schrie: »Hast du es getan?« Ohne es zu merken, hatte er dem Dagonisier die Schwertspitze einen Fingerbreit ins Fleisch getrieben.
»Ich habe viele Seelen gefressen, du Wurm«, presste Reghosch hervor. »Meinst du, dir allein steht das Recht auf Blutrache zu?«
»Es geht hier nicht um mich. Du hast mit deinem Verrat nicht nur mir etwas unermesslich Kostbares geraubt, sondern allen Kindern des Lichts. Der Gesalbte Gaos wurde deinetwegen von Kirries entführt. Du wirst mir helfen, Eli und seine Tochter aus ihrer Hand zu befreien.«
»Das kann ich nicht.«
»Dann stirbst du sofort!«, brüllte Taramis und drehte das Schwert in der Wunde herum.
»Ich kann es nicht«, beteuerte Reghosch. »Niemand kennt den Schlupfwinkel der Piraten.«
Taramis schloss die Augen, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Dabei fiel ihm auf, dass der Kampflärm leiser geworden war. Ein einzelner Schrei hallte durch die Nacht. Mit einem Mal schien sich das Dunkel hinter seinen Lidern etwas zu lichten.
Erschrocken blickte er auf und wandte den Kopf in alle Richtungen. Das Grabhaus schimmerte keinen halben Speerwurf hinter ihm fahl im Mondlicht. Es dauerte ein, zwei aufgeregte Herzschläge, bis ihm bewusst wurde, dass die von Aragor geschmiedeten Schatten verschwunden waren. Während er sich noch einen Reim darauf zu machen versuchte, spürte er unter den Knien eine Bewegung.
Reghosch schien zu schrumpfen.
Die Verwandlung vollzog sich rasend schnell. Dadurch gewann der Antisch neuen Bewegungsspielraum und konnte sich auf den Rücken drehen, während Taramis noch mit der Überraschung rang.
Es waren nicht mehr der Harnisch und stählerne Muskeln, die Taramis unter sich spürte, sondern weibliche Brüste. Er kniete auf einer Frau in einem duftigen, hellen Kleid. Voll schrecklicher Ahnungen riss er den Schild von ihrem Gesicht.
»Xydia?«
Sein Verstand schrie vor innerer Qual. Der Betrug war nur zu offensichtlich. Trotzdem spielten seine Gefühle verrückt. Sie sieht so lebendig aus … fühlt sich so echt an … Du brichst ihr die Rippen! Der Druck seiner Beine wurde unwillkürlich schwächer und das Schwert rutschte aus der Wunde, die es unter Xydias Achsel gegraben hatte.
Jäh verwandelte sie sich erneut. Diesmal ging die Metamorphose so schnell vonstatten, dass Taramis’ sich windender Seele keine Zeit zur Reaktion blieb.
Aus dem Mädchen wurde ein fliegendes Geschöpf. Ein Nakilep, nicht größer als ein Schwan, mit flaumigem Fell und einem langen Schnabel, unter dem ein Hautsack hing. Krächzend wand sich die Schwallechse unter ihm hervor, lief mit schlagenden Hautflügeln aus den Baumschatten heraus und schwang sich in den Nachthimmel empor.
Der Krötenbändiger
V on allen Untaten Reghoschs war das die niederträchtigste gewesen. Sich im Körper Xydias die Flucht zu erschleichen, war mehr als ein jämmerlicher, hinterhältiger, feiger Akt der Boshaftigkeit. Es war teuflisch.
Taramis zitterte unkontrolliert. Er kauerte immer noch am Boden, als Marnas zu ihm trat. Anfangs bekam er es nicht einmal mit, als sein Lehrer ihn ansprach. Im Kopf von Taramis drehte sich alles. Er entsann sich eines Berichts seines Freundes Masor während ihrer Flucht von der Insel Zin. Er habe eine kleine Schwallechse gesehen, hatte der Regenmacher gesagt. Bei einem Seelenfresser wisse man nie, welche Gestalt er gerade habe.
Wie wahr!
»Mein Sohn!«, sagte der Hüter zum wiederholten Mal.
Aus tränenverhangenen Augen wandte sich Taramis ihm zu.
»Bist du verletzt?«, fragte Marnas. Er selbst schien
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