Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Selbstbeherrschung des bärtigen Hünen. Gabbar hätte dem fischköpfigen Hetzer ohne einen Finger zu rühren sämtliche Knochen im Leib brechen können. Aber danach wäre er von Pfeilen der Armbrustschützen gespickt worden.
Kurz nach dem bedrohlichen Vorfall trennten sich die Wege der vier Arbeitskolonnen. Einige Stollen begannen in Sichtweite der kleinen Festung, die Mannschaft des gedemütigten Vorarbeiters folgte dem gewundenen Talverlauf am weitesten hangabwärts. Obwohl der Marsch kaum länger als eine Meile war, spürte Taramis schon bald die Anstrengung in den Gliedern. Die Verletzungen hatten ihn stärker geschwächt, als er sich eingestehen wollte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er die lauernden Blicke der Wachen. Wie Hyänen schienen sie nur darauf zu warten, über ihn herzufallen. Um sich vor ihnen keine Blöße zu geben, verschmähte er Marnas’ stützenden Arm und quälte sich aus eigener Kraft durch den Staub.
Der heiße Wind nahm in dem Maße zu, wie die Talwände einander näherrückten. Zuletzt bildeten sie eine enge Schlucht, in die bestenfalls zur Mittagszeit ein Sonnenstrahl drang. Die Schatten milderten etwas die trockene Hitze, an den Staubwolken freilich änderte dies nichts.
Mit einem Mal tauchten aus dem Gewirbel zwei seltsame Eisenbänder auf, die parallel über den Boden verliefen. Hinter der nächsten Biegung standen vier blau bestäubte Wagen auf dem Strang.
»Das ist ein Lorenzug. Damit fahren wir ein«, bemerkte Gabbar leise. Sein reizbarer Bewacher war gerade ein Stück zurückgeblieben.
Taramis hatte nie zuvor ein Schienenfahrzeug gesehen. »Ich sehe keine Zugtiere.«
»Wart’s ab, bis wir die Grubenschweine angespannt haben. Sie verbringen die Nächte in der Mine, weil sie das Sonnenlicht nicht vertragen.«
Die Kolonne kam vor dem Stolleneingang zum Stehen, einer mit Eisenträgern abgestützten trapezförmigen Öffnung in der Felswand. Unter den wachsamen Blicken der Antische beaufsichtigte Gabbar die Ausgabe der Ausrüstung, die in einem Unterstand neben den Gleisen aufbewahrt wurde. Schweigend nahmen die Bergarbeiter Brechstangen, Meißel, Hämmer, Lampen, Staubschutztücher für die Kiemen, lederne Kappen und Hornpantoffeln in Empfang. Letztere unterstrichen das ambivalente Verhältnis der Dagonisier zu ihren Sklaven. Manchmal schien deren Leben ihnen nichts zu bedeuten, dann wieder behandelten sie die Zeridianer geradezu fürsorglich, damit ihre Arbeitskraft erhalten blieb.
Jenseits des Schienenstrangs, gegenüber dem Materiallager, standen drei große, niedrige Käfige. Das darin herrschende Gewusel ließ Taramis vor Abscheu erschaudern.
»Wühler«, bemerkte Gabbar. Bei den Vorbereitungen zur Grubeneinfahrt durfte er ungestraft sprechen. »Ihre Zwinger sind unten mit Eisenplatten verstärkt, damit sie sich nicht in den Boden bohren. In solchen Löchern lauern sie ihrer Beute auf. Seht zu, dass euch so ein Biest niemals mit seinen Saugnäpfen zu fassen bekommt. Falls doch, müsst ihr es sofort töten. Freiwillig lässt es ein Opfer erst wieder los, wenn es nichts mehr aus ihm heraussaugen kann.«
»Und wie bringt man so einen Egel um?«
»Keine Ahnung. Ich kenne niemanden, dem das je gelungen wäre. Sie haben nicht mal Knochen, die man ihnen brechen könnte.«
Taramis war ungeachtet seiner Jugend ein geübter Jäger. Er kannte die verwundbaren Stellen vieler Kreaturen. Tausendfüßige Riesenblutegel gehörten allerdings nicht dazu. Die etwa zehn Fuß langen Tiere glichen flachen Würmern. Die gefleckte Zeichnung ihrer ledrigen Haut wechselte zwischen Tiefbraun, Olivgrün und Schwarz. Augen oder Ohren ließen sich keine ausmachen. Nur wenn ein Egel sich bewegte, sah man die unzähligen Beinchen an der Unterseite des Körpers. Einer richtete sich gerade auf, wodurch das Saugnapfmaul mit dem Zahnkranz sichtbar wurde.
»Das ist für dich«, sagte Gabbar und reichte Taramis eine Brechstange sowie die obligatorische Schutzausrüstung. Marnas bekam neben Kappe, Kiemenschutz und Schuhen einen schweren Hammer und einen langen Meißel in die Hände gedrückt. Dann stiegen sie mit dem Vorarbeiter, Veridas und zwei weiteren Zeridianern in die vordere Lore ein.
»Die Feuermenschen meiden die Schächte«, raunte Gabbar. Seine Miene spiegelte Verachtung wider. »Ist ihnen zu nass, zu schmutzig, zu heiß und zu gefährlich. Meist begnügen sie sich mit der Bewachung des Mineneingangs. Nur alle paar Tage bequemen sich einige zu Kontrollgängen in die Mine hinab. Und ungefähr
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