Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
herrscht in der Stadt ohnehin Ausgangssperre. Morgen früh wird das Tor wieder geöffnet.«
Der Größte des Quartetts – im Verhältnis zu den Dagonisiern war er immer noch klein – stieß ein unwilliges Brummen aus. Vermutlich, um ihn von einer Unbedachtheit abzuhalten, trat der älteste Landmann, wohl der erwähnte Vater, rasch einen Schritt vor. Er war ein kräftiger Mann Ende vierzig mit einem für Ungestreifte beachtlichen Brustkorb. Auch er verneigte sich voller Achtung vor Tuth.
»Verzeiht, Herr, wenn ich das Wort an Euch richte. Wir dürfen uns in aller Bescheidenheit einiger Verdienste für die dagonisische Sache rühmen. Kein Geringerer als der große Natsar hat uns dafür reich entlohnt, wie Ihr Euch selbst überzeugen könnt.« Der Bauer schnippte eine kleine Münze in die Luft.
Wo er das Geldstück so plötzlich hergezaubert hatte, war Tuth entgangen, doch er zögerte nicht, es aufzufangen. Zu seiner Überraschung handelte es sich um einen dagonisischen Goldpim. »Den hast du gestohlen«, behauptete er.
»Bei allem Respekt, Herr, aber das ist eine Unterstellung, die Euch Kopf und Kragen kosten kann. Fragt Euren Befehlshaber, er wird Euch …«
»Ich soll Natsar mit so einer Bagatelle behelligen?«, japste Tuth. »Er würde mich dafür vierteilen.«
Lächelnd verneigte sich der Bauer. »Er ist fürwahr ein strenger Herr. Ihr dürft den Pim behalten, als Zeichen des Dankes, wenn Ihr uns in die Stadt lasst. Heute noch.«
Darauf hatte Tuth nur gewartet. Er wollte schon den großmütigen Besatzer geben, als unvermittelt Kibbith von der anderen Seite des Tores aufgeregt intervenierte.
»Dadurch machen wir uns mit Dieben gemein. Unser Hauptmann würde uns die Hand abhacken.«
Tuth warf ihm einen zornigen Blick zu. »Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Geschichte der Bauern anzuzweifeln.«
»Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen.«
»Bin ich hier der Wachhabende oder du?«, knurrte Tuth. Er wollte nicht auf den schon sicher geglaubten Wegezoll verzichten.
Sein starrköpfiger Kamerad trat einen Schritt auf den alten Bauern zu und riss trotzig die Lanze hoch. Plötzlich war ein leises Knack! zu vernehmen. Schlagartig verblassten Kibbiths Gesichtsstreifen. Er ließ den Spieß fallen und heulte vor Schmerzen auf.
»Was ist passiert?«, fragte Tuth verwirrt.
Jammernd hob Kibbith die Rechte. Sein Mittelfinger war bis zum Handgelenk nach hinten geklappt. »Das waren die . Mach sie kalt!«, stöhnte er.
»Red keinen Unsinn. Du hast dich zu hektisch bewegt und dir am Dreizack selbst den Finger ausgerenkt.«
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
Dazu wollte sich Tuth vor den Fremden nicht äußern. Irgendwie musste er seinen Goldpim retten. Unwirsch wandte er sich dem alten Bauern zu. »Stimmt das? Hat jemand von euch meinem Kameraden den Finger umgeknickt?«
»Wir könnten nicht mal eine Beere von einer Weinrebe zupfen, ohne die Hände zu gebrauchen«, beteuerte der Mann. »Außerdem wäre es töricht, Euch zu reizen, wo wir doch auf Eure Gnade angewiesen sind.«
»Da hat er recht«, verkündete Tuth und warf seinem Kameraden einen warnenden Blick zu.
Kibbith äußerte sich nicht weiter dazu. Er war ausreichend mit seinem Finger beschäftigt.
»Mein Herr«, sprach nun wieder der Stabträger den Wachhabenden an. Er trat neben seinen Vater und redete überraschenderweise im kehligen, dagonisischen Dialekt. »Das Missgeschick Eures Kameraden tut mir leid. Im Übrigen kann ich Euch beruhigen. Es besteht keine Notwendigkeit, Euch wegen so einer Lappalie an Natsar zu wenden. Fragt doch einfach einen Ungestreiften, dessen Treue gegenüber Dagonis unumstritten ist. Erkundigt Euch bei Asor.«
Asor? Tuth blieb die Spucke weg. Woher wusste dieser Lurch von …?
»W-wer hat Euch diesen Namen verraten?«, stammelte Kibbith. Mit schmerzverzerrtem Gesicht spähte er zur Zinne hinauf, ob andere Kameraden das Gespräch verfolgten. Zum Glück interessierte sich niemand für die verlauste Bande im Tor.
»Natsar«, antwortete der junge Bauer.
Trotz des Odempulvers empfand Tuth die drückende Luft mit einem Mal wie einen Würgegriff. Dank Asor hatten sie Debir vor zwei Tagen ohne große Anstrengung eingenommen. Ihnen war von oberster Stelle unter Androhung der Todesstrafe verboten worden, mit Zivilisten über diese Person zu sprechen. Wütend deutete Tuth mit den Lanzenspitzen in die Stadt. »Geht schon! Und wenn Euch Euer Leben teuer ist, dann vergesst am besten den Namen dieses Mannes.«
Der
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