Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
unzählige Male über sich ergehen lassen. Nur ihre Augen verrieten, dass sie mit ihrer Freundin litt.
Als Adluh nach einer Schüssel mit Wasser und einem Tuch verlangte, fiel ihr Blick auf das Halsband. Ein triumphierendes Lächeln stahl sich auf ihre dünnen Lippen. Endlich hatte sie etwas gefunden! »Was haben wir denn da? Zeig mal her.« Sie streckte die Hand aus.
Shúria schloss die Beine, winkelte die Arme an, um ihre Brüste zu bedecken, und holte den Anhänger nach vorn. Die Furcht, das einzige Erinnerungsstück an Taramis zu verlieren, schnürte ihr die Kehle zu.
»Ein schwarzes Steinchen?«, wunderte sich Adluh. Sie griff danach und zog mit einem heftigen Ruck daran, um den Lederriemen zu zerreißen. Doch er hielt stand.
»Das ist nur ein Liebesstein«, stieß Siath hervor. Ihr war nicht entgangen, dass es ihrer Freundin die Sprache verschlagen hatte.
»Liebesstein?«, hallte es wie ein Echo aus Adluhs Mund.
Shúria blinzelte. »Es ist ein Symbol unverbrüchlicher Liebe.« Das stimmte sogar.
»Der König wird sich geschmeichelt fühlen«, fügte die Ganesin hinzu.
Die Haremsdienerin betastete den Sternensplitter. »Na ja, verletzen kann man sich daran wohl nicht. Meinetwegen, du darfst ihn behalten.«
Schwere Schritte eilten herbei. So klang nur einer , wenn er durch den Harem lief: Abah. Die Haremsdamen nannten ihn den wandelnden Berg . Der dunkelhäutige Obereunuch stammte aus Hakkore. Er war zwar mindestens so gewichtig wie der König, wirkte wegen seines riesenhaften Wuchses aber weniger massig. Ohne Rücksicht auf Shúrias Schamgefühle wischte er einen der Vorhänge zur Seite. Abah hatte nie ein Interesse an den Reizen der Schönen erkennen lassen, die unter seiner Aufsicht standen.
»Die Eskorte wartet. Ist die Hetäre fertig?«
»Ja«, antwortete Adluh. »Shúria ist bereit.«
Sie bemerkte die Bewegung zunächst nur aus den Augenwinkeln. Um nicht das Misstrauen der Leibgardisten zu wecken, wandte sie nur den Blick nach rechts und behielt den Kopf so, wie er war. Tatsächlich! Da beobachtete sie kein Tier aus den Schatten des Baumes am Rand der Allee – zum lebendigen Zierrat im Palastgarten gehörten Rehe, Pfauen, Regenbogenschwaller und andere Geschöpfe –, es war ein Mensch. Obwohl Shúria den Mann nur ganz kurz sah, meinte sie in ihm den Alten wiederzuerkennen, der ihr schon auf dem Weg der Tempelhuren hinterhergeschlichen war.
Wer bist du?
»Bitte bleibt auf dem Weg, Herrin«, sagte der junge Soldat zu ihrer Rechten. Wieder war es der schwarze Lockenkopf. Inzwischen wusste sie, dass sein Name Peridas lautete und er einer alten Adelsfamilie angehörte.
Shúria war durch das Schielen zu den Bäumen von der Wegmitte abgekommen, ohne es zu bemerken. Sie tat so, als müsse sie etwas an ihrem hauchdünnen Gewand richten, und machte drei korrigierende Trippelschritte nach links.
Wenig später erreichte die Eskorte das Gärtchen vor dem Schlafzimmer des Königs. Wie schon zwei Tage zuvor empfing sie dort Selvya. Mit einer anmutigen Geste lud sie die Hetäre zum Betreten des Gemachs ein. Als Shúria an ihr vorbei durch die Tür schritt, bemerkte sie, wie die Rothaarige dem hübschen Peridas einen bezaubernden Blick zuwarf. Sollte es in dieser Welt der Dekadenz und Ausbeutung tatsächlich so etwas wie echte Gefühle geben?
»Wie geht es Euch?«, fragte die Schätzerin.
»Muss ich wirklich darauf antworten? Ich liebe Taramis und soll mich einem Fleischberg hingeben, für den ich nicht mehr als eine Eroberung bin.«
Selvya griff nach Shúrias Händen und raunte: »Ich habe meine Frage eigentlich anders gemeint. Eure Haut ist ganz kalt heute.«
»Das kommt von der Angst.«
»Keine vorgetäuschte Krankheit?«, flüsterte die Schätzerin.
Shúria schüttelte den Kopf und antwortete verzweifelt: »Seit vorgestern werde ich pausenlos bespitzelt. Ich konnte nichts tun …«
» Pst! Sprecht leiser. Wir sind hier auch nicht sicher. Dieser Palast hat tausend Augen und Ohren.«
»War das neulich aufrichtig gemeint?«, wisperte sie. »Ihr sagtet, Ihr wäret nicht meine Feindin. Als der König Euch aus dem Zimmer schickte, hatte ich das Gefühl, Ihr hättet mir gerne irgendwie beigestanden. Jetzt könnte ich Eure Hilfe gut gebrauchen.«
Selvya hielt immer noch ihre Hände fest. Die grünen Augen der Schätzerin schienen die hintersten Winkel von Shúrias Seele auszuleuchten. »Ihr würdet alles tun für Euren Sohn und zur Bewahrung Eurer Treue gegenüber Taramis, nicht wahr?«
»Ja«,
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