Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
fiel. Er verachtete diesen Mann sogar jetzt noch. Lebesis Sohn hatte sich zum Sklaven teuflischster Machenschaften gemacht. Bar jeder Menschlichkeit hatte er nicht nur ihn, den sich nach Frieden sehnenden Landmann und seine Familie gequält, sondern auch Abertausende ins Verderben gestürzt.
Zornig richtete Taramis seinen Willen auf den Fischgötzen.
Die Figur begann auf einmal zu schaukeln. Zwei-, dreimal wankte Dagon vor und zurück, kippte schließlich nach vorn und zermalmte sodann seinen ersten Diener.
30. Feueropfer
S húria saß neben Siath auf der Ladefläche eines von Pferden gezogenen Kastenwagens und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Ihr »Brautkleid« hatte sie hochgeschoben, damit sich Ari zwischen ihren angewinkelten Beinen niederlassen und sich mit dem Rücken an sie lehnen konnte. Trotz der mit Stricken gefesselten Hände schlang sie ihre Arme um den Jungen und drückte ihn an sich. Sie empfand seine Nähe als tröstlich, wenngleich es kaum Anlass dazu gab. Der Wagen zuckelte dem Hinrichtungsplatz vor dem blutroten Götzentempel entgegen.
Noch hatten sie den Palastbezirk nicht verlassen und schon verdüsterten die bedrohlichen Rauchfahnen der Opferöfen vor ihnen den Himmel. Der süßlich-fade Geruch von verbranntem Menschenfleisch lag in der Luft.
»Warum hast du das getan?«, fragte Shúria.
Ihre Freundin blickte weiterhin schweigend vor sich hin.
»Antworte mir, Siath. Weshalb hast du dich nicht einfach mit Eglon in dieses monströse Bett gelegt? Wie es scheint, war es ja nicht das erste Mal.«
Die Ganesin sah sie endlich an. Etwas Unergründliches lag in diesem Blick, das Shúria erschaudern ließ. »Das habe ich dir doch schon am Tag unserer Ankunft in Peor gesagt.«
»Dass du niemals wieder für angebliche Gottesdiener die Beine breitmachen willst?«
»Nein, ich sagte, Seelenfresser hätten sich für komanaische Hurenböcke ausgegeben. Eglon war einer von ihnen.«
Shúrias Mund blieb offen stehen. Sie bekam eine Gänsehaut. Eglon ein Antisch? Sie entsann sich, dass er den Obereunuchen einen »schwanzlosen Lurch« genannt hatte. Taramis war von Gaal des Öfteren als Lurch bezeichnet worden. Warum hatte ausgerechnet ein Dagonisier unbedingt bei mir liegen wollen?
Siaths Blick wanderte kurz zu Ari hinüber, der sich an seine Mutter drückte und ihren Arm streichelte. Die Tage mit den Tempelhuren und Hetären hatten den Jungen reifer gemacht. Muss ich ihm noch etwas verheimlichen?, fragte sie sich wohl. Er wusste mehr als manch anderer. »Eglon ist der Vater des Kindes, das ich … nicht ausgetragen habe.«
»Bitte verzeih mir, ich konnte nicht ahnen …« Shúria schüttelte beschämt den Kopf.
Siath nahm das Halsband mit dem Sternensplitter ab und legte es ihr an. »Hier. Verlier deinen Schatz nicht wieder. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich Eglon die Abfuhr erteilt, damit du ihn zurückbekommst. Andernfalls hätte ich versucht, ihn zu töten.«
»Wegen des Steins hast du …?« Jetzt verstand Shúria gar nichts mehr.
»Es ist kein gewöhnlicher Stein.«
»Ja, sicher. Für mich hat er großen Wert. Weil Taramis ihn mir geschenkt und weil er früher einmal meinem Lehrer Veridas gehört hat.«
Die Ganesin nickte gedankenvoll. »Genau deshalb. Was auch mit uns geschieht. Trage den Sternensplitter immer bei dir.«
Unter den sichelförmigen Kolonnaden reihten sich die Todgeweihten. Tempelwächter sorgten mit ihren Lanzen dafür, dass niemand floh. Wer es trotzdem versuchte, wurde entweder auf der Stelle getötet, oder er bekam einen vorderen Platz in der Schlange. Beim nächsten Öffnen der bronzenen Ofentüren stieß man ihn dann in die Flammen.
Die Schreie der Sterbenden waren grauenerregend. Sie ließen die Wartenden jedes Mal lauter weinen und jammern und feuerten die Zuschauer zu neuerlichen Jubelstürmen an. Die Menschenmenge auf dem Tempelvorplatz war um ein Vielfaches zahlreicher als die handverlesenen Festgäste im Palastgarten.
Wem das Schauspiel der Verbrennung zu eintönig oder zu grausam war, der trug Dagon aus Anlass des Auferweckungsfestes allerlei Wünsche vor, die sich um die Fruchtbarkeit des Feldes, der Ehefrauen oder der Geschäfte drehten. Viele pflegten an diesem Tag auch besonders inbrünstig allerlei befremdende Riten. Manche ritzten sich mit Messern oder schlugen sich mit Ketten blutig. Shúria konnte nicht nachvollziehen, warum ein Gott umso größere Freude an seinen Geschöpfen haben sollte, je mehr sie sich selbst – sein heiliges Werk also
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