Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Haupteslänge. Als in seinem Rücken der Fremde mit dem langen Stab nahte, wurden die Leute um ihn herum immer stiller. Schließlich wandte Marnas den Kopf; es reichte nicht, um den Neuankömmling zu sehen, doch immerhin weit genug, um das Wort an ihn zu richten.
»Mögen deine Tage ohne Nebel sein.«
Taramis erschauderte. Wie hatte sein Meister das gemacht? »Und die deinen voller Sonnenschein«, vervollständigte er den Gruß der Nebelwächter und fügte hinzu: »Woran hast du mich erkannt?«
Marnas verbeugte sich in Richtung der Leute, mit denen er sich bis eben unterhalten hatte, sagte etwas Unverständliches und erhob sich von der Brunnenmauer. Jetzt erst drehte er sich zu seinem Schüler um, trat auf ihn zu und umarmte ihn. »Mein Sohn Taramis, ich hatte fast befürchtet, dich nie wiederzusehen.«
»Samo liegt nicht gerade um die Ecke«, antwortete der, während er mit den Tränen rang. »Für einen Nebelwächter muss diese Insel allerdings ein Paradies sein.«
»An Nebel herrscht auf dieser Scholle wahrlich kein Mangel«, lachte Marnas. »Bist du allein gekommen?«
»Ich habe Freunde mitgebracht. Einige freuen sich, dich wiederzusehen. Wo ist eigentlich dein Diener?«
» Diener? Sagen das die Samoi?« Wieder lachte der alte Recke. »Er ist wohl eher ein Gefährte, der darauf besteht, mir hier und da zur Hand zu gehen, und mich wie eine Glucke bewacht. Ich habe ihn heute am Herd zurückgelassen, weil er mir sonst die Leute vergrault.«
»Kenne ich ihn?«
»Und ob! Lass dich überraschen.«
»Verrätst du mir noch, wie du mich eben erkannt hast?«
»Fragst du das ernsthaft den Mann, der dir beibrachte, wie ein Krieger seine fünf Sinne und die Geistesgaben zu gebrauchen hat?«
»Du hast meinen Schatten gesehen. Und den des Feuerstabs.«
»Na also! Es geht doch. Aber jetzt lass dich genauer anschauen.«
Ohne sich loszulassen, gingen die beiden auf Abstand, um einander ins Gesicht zu sehen. Die Augen von Marnas glänzten ebenfalls, was bei einem alten Haudegen wie ihm schon etwas heißen wollte. »Du bist reifer geworden, was dir allerdings nicht schadet«, stellte er fest. »Ist es möglich, dass deine Haut leuchtet?«
Taramis verzog den Mundwinkel. »Ein Andenken von Lurkon, dem Hausdrachen der Kirries. Seit ich ihn getötet habe, brennt sein Feuer in mir. Bisher konnte ich es nie richtig kontrollieren. Ich hatte gehofft, dass du mir dabei helfen kannst.«
»Du willst, dass ich deine Ausbildung beende?« Marnas breitete lächelnd die Hände gen Himmel aus. »Welch Glück, o Herr, ich danke dir. Mein Schüler ist endlich zur Besinnung gekommen.«
Ein Schatten legte sich auf Taramis’ Gemüt. »Leider bin ich eher ein vom Unglück Getriebener. Können wir irgendwo ungestört darüber reden?«
Sein Lehrer deutete zu dem schmalen Haus hinüber. »In meinen eigenen vier Wänden. Unser Freund wird vielleicht Augen machen, wenn er dich sieht. Ist ohnehin besser, uns zu verdrücken. Sollte der Schultheiß von deinem Besuch Wind bekommen, wird er dir seine Gastfreundschaft anbieten.«
»Wäre das so schlimm?«
»Wie man’s nimmt. Die Leute hier sind sehr freundlich und zuvorkommend. Nur, wen sie einmal ins Herz geschlossen haben, den lassen sie nicht wieder weg.«
Grinsend hämmerte Marnas mit der Faust gegen die Haustür.
»Hast du deinen Schlüssel vergessen?«, wunderte sich Taramis. Er drehte sich zu Jagur und den anderen Freunden um, die auf den Treppenstufen hinter ihm standen und nicht weniger ratlos wirkten.
»So etwas brauchen wir auf Samo nicht«, antwortete der einstige Hüter von Jâr’en.
»Und warum gehen wir dann nicht einfach rein?«
»Strategische Maßnahme zur Steigerung des Überraschungsmoments.«
»Sind wir hier auf einem militärischen Feldzug?«, brummte der Kirrie. »Falls ja, hole ich besser meine Lehi heraus.«
»Lass sie nur stecken, Bruder Jagur«, antwortete Marnas schmunzelnd. »Damit würdest du nur alte Gräben aufreißen, was die Freude des Wiedersehens trüben könnte.«
»Wovon redet er?«, flüsterte der kleine Recke.
Taramis zuckte mit den Schultern.
Marnas klopfte erneut an die Tür.
Von drinnen erklang ein Gebrumme, das zwar unverständlich blieb, rein klanglich aber gut zu Jagurs Stimmlage passte. Irgendetwas polterte. Dann wurde die Tür aufgerissen und gab den Blick auf einen Riesen mit Kochlöffel und Schürze frei.
»Ich habe zum Essen Besuch mitgebracht«, sagte Marnas. Sichtlich genoss er die Verblüffung seines Freundes.
»Taramis!«,
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