Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
sind der Schultheiß und seine Ratsherren. Sie kommen, um unseren Freunden die Gastfreundschaft der Stadt anzubieten.«
»Sie haben Brot und Salz dabei. Sieht also ganz danach aus.«
Marnas stöhnte. »Das habe ich befürchtet.«
»Was ist so schlimm daran?«, fragte Taramis verwundert.
»Wie gesagt, die Samoi übertreiben es etwas mit ihrem Pflichtgefühl gegenüber Fremden. Wen sie erst einmal bei sich aufgenommen haben, den lassen sie nie wieder gehen.«
Vielen Völkern Beriths war die Gastfreundschaft heilig, und sie reagierten sehr empfindlich, wenn man ihre diesbezüglichen Anstrengungen nicht ausreichend würdigte. Taramis erinnerte sich noch lebhaft an einen Besuch bei Jarmuth, den König der Kirries, der ihn am liebsten in seinem Palast festgebunden hätte. Die Samoi waren zu weit mehr bereit, um die von der Tradition auferlegte Pflicht zu erfüllen.
Nach einer überschwänglichen Begrüßung, bei der Taramis und seine Freunde auf der Schwelle des schmalen Hauses dazu genötigt wurden, von Brot und Salz zu kosten, sprach der Schultheiß die befürchtete Einladung aus. »Wir haben gehört, dass Ihr mit unseren Krodos Freundschaft geschlossen habt«, erklärte der feiste kleine Stadtvorsteher. »Jetzt möchten wir Euch die Gelegenheit bieten, auch uns Samoi ins Herz zu schließen. Selbstverständlich liegt uns ebenso viel an Eurer Sicherheit wie an Eurem leiblichen Wohl. Wir haben daher zu Eurem Schutz einige Wachen vor und hinter dem Haus des ehrenwerten Marnas aufgestellt. Sie werden alle Störungen von Euch fernhalten. Außerdem sollen sie Euch davor beschützen, Euch in der Stadt zu verlaufen oder – Gott bewahre! – Euch in den Sümpfen zu verirren. Morgen Abend geben wir auf dem Marktplatz zu Euren Ehren ein Begrüßungsfest.«
»Das ist ausnehmend freundlich von Euch«, antwortete Taramis. »Meine Freunde und ich sind jedoch in einer Mission hier, von der Wohl und Wehe der ganzen Welt abhängt. Wir müssen Euch leider sofort wieder verlassen.«
»Daraus wird nichts«, erwiderte der Schultheiß fröhlich. »Wenn Euer Anliegen so dringend ist, schicken wir für Euch einen Boten, der Eure Botschaft zu einem Ort Eurer Wahl bringt. Dann könnt Ihr unsere Gastfreundschaft ohne Zeitdruck in vollen Zügen genießen.«
Taramis war von seinem alten Lehrer gewarnt worden, sich möglichst passiv zu verhalten. Das Für und Wider von hiesigen Traditionen zu hinterfragen sei völlig sinnlos. Sie seien wie der Nebel: unaufhaltsam und gänzlich undurchschaubar. Daher verzichtete er auf weitere Einwände, nahm die Einladung dankend an und ließ die Abordnung auf der Eingangstreppe stehen.
»Wie ist es ausgegangen?«, fragte Jagur, nachdem die Haustür geschlossen war.
»Sie haben uns hier unter Arrest gestellt, und die Ausgänge sind bewacht«, antwortete Taramis.
»Soll ich uns den Weg mit der Axt freischlagen?«
»Das wäre undankbar. Diese Leute mögen verbohrt sein, aber auf ihre Art meinen sie es nur gut mit uns. Ich schätze, wir müssen uns ihrer Umklammerung still und heimlich entziehen.« Er wandte sich Marnas zu. »Du kennst dich in Ketira am besten aus. Hast du eine Idee, wie uns das gelingen könnte?«
»Gabbar und ich haben es auf hundert verschiedene Arten versucht und sind ebenso oft gescheitert. Es liegt an der wandernden Stadt. Sie nimmt dir jede Orientierung. Als Fremder bist du in den Sümpfen verloren.«
»Was ist, wenn ich einfach meinen Donnerkeil rufe?«, schlug Jagur vor. »Aviathan landet auf dem Marktplatz, und im Nu sind wir weg.«
Marnas schüttelte den Kopf. »Das würde die Stadtwache zu verhindern wissen. Innerhalb der Mauern dürfen keinerlei Schwaller landen. Alles andere wird als feindlicher Angriff aufgefasst. Die Ketiraner verstehen da keinen Spaß.«
»Ich hätte vielleicht eine Idee«, wandte sich Siath an Taramis. Nachdenklich kraulte sie Tosus Brust. »Du bist ein Gaukler. Könntest du mich ungesehen hier herausschmuggeln?«
Der Wachposten am Stadttor gähnte. Seine Augenlider waren bleischwer. Ungeduldig blickte er zum Horizont. Bald würde die Sonne im Sumpf versinken, wie die Samoi sagten.
Von der nahen Wasserfläche hörte er ein Geräusch. Es war ein Zischen und Kratzen, so als schleiften sämtliche Fischer der Gegend ihre Boote gleichzeitig über die Wiese. Er blinzelte, weil der tief stehende Feuerball ihn blendete. Da näherte sich tatsächlich etwas Massiges. Seltsam. Seit wann schleppten die Männer zur Nacht ihre Schiffe in die Stadt?
Mit einem
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