Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
dem Khan erwidern? Mit beharrlichem Schweigen konnte sie Ari wohl nicht länger schützen. Außerdem quälte sie nach wie vor die Sorge vor dem, was Lauris über die Verschwörung gegen Taramis erzählt hatte …
»Taramis ist mein Vetter«, antwortete sie aus einem unbestimmten Impuls heraus. Richtig gelogen hatte sie damit nicht. Schließlich waren alle Zeridianer miteinander verwandt.
Die schwarzen Augen des Khans schienen sie durchbohren zu wollen. Unverhohlener Zorn funkelte darin. Es war ein stummes Kräftemessen, das er mit einem Kopfschütteln beendete. »Große Ereignisse stehen bevor, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordern. Meine Zeit ist zu kostbar, sie mit einem halsstarrigen Weib zu verschwenden.« Er wandte sich den Wachen zu. »Diese Furie soll mit ihrem giftigen Blut keinen meiner tapferen Männer mehr töten. Bring sie auf die Insel der gebrochenen Flügel, Timur. Unsere Bundesgenossen brauchen immer frischen Nachschub.«
»Und ihr Sohn?«, fragte der junge Anführer.
Der Khan lächelte. »Mit dem Knaben habe ich andere Pläne. Wir behalten ihn hier.«
Der hagere Wächter konnte es nicht abwarten, hinter Shúria zu treten, ihren Arm zu packen und sie grob vom Boden hochzuzerren.
»Bitte«, flehte sie, »trennt mich nicht von meinem Sohn.«
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, antwortete Bahadur und wedelte ungeduldig mit der Hand, damit man die Gefangene aus seinem Zelt entferne.
Shúria sträubte sich gegen den harten Griff des Wächters. Sie schrie Aris Namen und versuchte sich von dem Hageren loszureißen, ehe sein Anführer ihm zu Hilfe kommen konnte.
»Mich vergiftest du nicht, du Schlange«, presste der Drachenmann hervor.
»Das wird sich zeigen«, zischte sie ihn an.
Plötzlich spürte sie einen Schlag am Hinterkopf. Sie hatte den Bogen wohl überspannt. Übelkeit kochte aus ihren Eingeweiden empor. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, und sie verlor das Bewusstsein.
26. Enthüllungen
W ie ein Geist glitt Aviathan durch die kesalonische Inselwelt. Jagur benutzte sämtliche Piratentricks, um seinen Donnerkeil vor den Drachenleuten zu verbergen. In nur drei Tagen hatte er seinen Schwaller von Samo aus in ihr Land geführt. Niemand kannte den Weltenozean so gut wie die Kirries.
Zu einer echten Herausforderung wurden in dem unübersichtlichen Gebiet die allgegenwärtigen Äthersalamander. Sie waren dank ihrer großen Hautflügel im Meer und in den Luftsphären von Inseln ähnlich agil wie Mamoghs. Ihre Reiter trugen klobige Helme mit kristallenen Bullaugen, die über Schläuche mit den Atemwegen der wendigen Tiere verbunden waren. Den Zugewinn an Beweglichkeit bezahlten die Drachenreiter mit einem offenkundigen Mangel an Übersicht. Wäre es anders, hätten sie Aviathan längst entdeckt.
Auf der Suche nach dem Lager der Zioraner sichtete Taramis etliche Schwaller, die er in diesem angeblich so wenig bereisten Teil des Weltenozeans nicht unbedingt erwartet hätte. Abgesehen von den typischen »Packeseln« der Dagonisier – den Drachenkröten und Ätherschlangen – beobachtete er Ellipsoide und getigerte Perlboote. Auf Taramis’ Wunsch hin nahm Jagur die Verfolgung eines dieser riesigen Kopffüßer auf, die genauso wie Schnecken ihr eigenes Haus mit sich herumtrugen. Ihre vielkammerigen Spiralschalen boten je nach Größe einem bis zwei Dutzend Reisenden Platz. Zum Beutefang und zur Abwehr von Feinden benutzten die amphibischen Geschöpfe Tentakel, die auch ohne Saugnäpfe kräftig zupacken konnten.
Während das Perlboot sich stoßweise voranbewegte, als würde es unentwegt durch den Äther springen, folgte ihm Aviathan wie ein Schatten. Allmählich kamen weitere Schwalltiere in Sicht. Ihre Zahl nahm stetig zu, und bald trieben Aberhunderte im Meer. Um unentdeckt zu bleiben, setzte Jagur seinen Donnerkeil tollkühn unter einen riesigen Pantoffelschwaller.
Der Tross führte sie zu einer Insel, auf der sich tatsächlich ein Lager befand. Augenscheinlich handelte es sich nicht um das gesuchte Versteck der zioranischen Sklaven. Allein schon die gewaltige Größe sprach dagegen. Die endlosen Zeltreihen waren weder umzäunt noch ließen sich gesonderte Unterkünfte für Wachmannschaften erkennen.
Selvya schlug die Hand vor den Mund. »Das ist … monströs. Wer kann gegen so viele Krieger bestehen? Wer würde es überhaupt wagen , ihnen die Stirn zu bieten?«
»Nur jemand, der das Beten nicht verlernt hat«, antwortete Marnas ruhig.
An Gottvertrauen hatte es Taramis bisher
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