Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
aus, so als wolle er sofort losfliegen. Normalerweise ließ Taramis ihn frei herumlaufen. Nur wegen Shúrias bevorstehender Niederkunft hatte er den Hengst zu sich gerufen und die Nacht im Stall verbringen lassen, um notfalls rasch Hilfe aus der Stadt herbeiholen zu können.
Taramis streichelte die struppige Mähne des geflügelten Rappen und redete ihm beruhigend zu, während er ihm die Reitdecke und den leichten Sattel aus Rohlederhaut auflegte.
Abermals krachte etwas gegen die Stalltür.
»Hört sich an wie ein Rammbock«, bemerkte Jagur.
»Dann sollten wir sehen, dass wir hier fortkommen«, antwortete Taramis und legte dem Ippo zum Abschluss die Oberdecke auf. »Kannst du allein aufsitzen oder soll ich dir helfen?«
»Wage es ja nicht!«, knurrte Jagur, obwohl er kleiner war als der Widerrist des Rappen. Trotzig griff er nach einer vorn am Sattel befestigten Halteschlaufe und hangelte sich über den angelegten Flügel des Hengstes hinweg auf dessen Rücken. Allon gestattete nur wenigen, ihn zu reiten, dem kurz geratenen Freund seines Herrn allerdings hatte er diese Gunst schon bei früherer Gelegenheit erwiesen.
Abermals krachte der Rammbock gegen das Tor. Splitter flogen in den Stall. Jeden Augenblick konnten die Drachenmänner ganz durchbrechen.
Taramis schwang sich vor dem Kirrie aufs Ippo. »Entschuldige, dass ich dir so auf die Pelle rücke. Möglicherweise musst du mich festhalten.«
»Der Kleine den Großen?«, freute sich Jagur und legte seine Arme von hinten um den Gefährten. »Ich möchte ja nicht an deinem Fluchtplan herummäkeln, aber wie kommen wir hier eigentlich raus?«
»Durchs Dach.«
»Na klar! Ich hack uns mit meiner Axt …?«
»Zu langsam. Ich kümmere mich darum. Sollte ich die Besinnung verlieren, musst du das Ippo reiten. Ischáh wartet draußen im Meer auf uns. Wir können in Allons Luftblase ungefähr eine Dreiviertelstunde atmen. Danach …«
Mit gewaltigem Krachen zersplitterten zwei Balken des Tores. Ein Baumstamm fuhr durch den Spalt, wurde sofort wieder zurückgezogen, und mehrere Pfeile zischten herein.
»Flieg!«, rief Taramis. Zur besseren Konzentration schloss er die Augen. Könnte er doch nur das Drachenfeuer entfesseln so wie damals auf dem Dach des Bluttempels zu Peor! Er spürte diese Macht tief in seinem Innern, aber sie entzog sich seiner Kontrolle. Was ihm blieb, war der klägliche Rest an Willenskraft, die er gleich aus sich herauspressen musste.
Allon breitete die Schwingen aus und preschte den Mittelgang entlang. Seine Fortbewegungsweise ähnelte eher der einer riesigen Raubkatze als dem Galopp eines Pferdes.
Von rechts erscholl das Geräusch des berstenden Tores. Taramis ließ die Augen geschlossen. Es war ohnehin zu spät, noch etwas zu ändern. Er spürte, wie er in den Sattel gedrückt wurde. Das Ippo schwang sich kraftvoll in die Höhe. Unter ihm stürmten die Kesalonier herein. Einige schrien vor Überraschung – in dem Stall hatten sie wohl mit vielem gerechnet, nur nicht mit einem fliegenden Rappen.
Jetzt!, rief Taramis, diesmal nur in Gedanken. Er ballte seinen Willen und schleuderte ihn in Flugrichtung gegen das Balkenwerk der Decke.
Beim Zusammenprall von Geist und Materie zersplitterte das Holz, als sei es von einem Meteor getroffen worden. Ein beträchtlicher Teil des Daches flog über den Vorhof hinweg aufs Feld hinaus. Der Lärm war ohrenbetäubend. Allon ließ sich davon nicht beirren. Mit dem Gleichmut eines Schlachtrosses schwang er sich in den Himmel empor.
Um Taramis herum drehte sich alles. Seine Seele war nach dem Kraftakt wie ausgebrannt. Das Spektakel nahm er nur wie im Vollrausch wahr. Krach, Staub, herumfliegende Pfeile und der unruhige Flug berührten ihn nicht. Teilnahmslos registrierte er, wie er zur Seite sackte und nur Jagurs Griff ihn vor dem Absturz bewahrte.
6. Der vergessene Jäger
D er angespitzte Stab zischte aus dem dichten Blattwerk des Urwalds hervor und bohrte sich tief ins Ohr des Fischköpfigen. Der Getroffene sank mit einem erstickten Laut in sich zusammen und starb, ehe er seine Leichtfertigkeit zu bereuen vermochte. Seine großen Glupschaugen blickten gläsern den Gefährten an, der einen Moment wie erstarrt auf der Lichtung zwischen den uralten Bäumen verharrte und lauschte.
Nebelschwaden trieben über den Boden. Der verborgene Werfer des primitiven Speers konnte überall stecken. Die Barteln am Kinn des zweiten Feuermenschen zitterten vor Erregung. Mit einem wütenden Zischen stieß er seinen
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