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Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung

Titel: Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Dreizack in einen Busch, in dem er das Versteck des Angreifers wähnte. Doch der hatte sich längst zurückgezogen.
    Der nackte Körper des vergessenen Jägers war von Kopf bis Fuß mit Algen und Schlamm beschmiert und daher zwischen dem üppigen Grün des zeridianischen Nebelwaldes so gut wie unsichtbar. Reglos wie ein Chamäleon hatte er stundenlang seiner Beute aufgelauert. Er wusste nur zu gut, dass man die Schnelligkeit der Fischköpfigen nicht im offenen Kampf herausforderte.
    Der Gestreifte ergriff die Flucht.
    Die Hand des Jägers umschloss die verbliebenen zwei Speere, schlanke Äste, die er mit einem Feuerstein angespitzt hatte. Bald würde er damit die letzten Eindringlinge erlegen und die Scholle wieder ganz für sich allein haben.
    Lautlos folgte er dem Fliehenden. Der vergessene Jäger bewegte sich wie ein Tier, stank wie ein Tier und grunzte wie ein Tier. Ob er nun jagte, tötete oder fraß – er war Sklave seiner animalischen Instinkte. Nur im Traum sah er manchmal den Mann, der er bis zu dem Tag gewesen war, als ihn ein fischköpfiges Ungeheuer verwandelt hatte. Er ahnte nicht, dass er immer noch ein Mensch war.
    Unversehens geriet der Wald um ihn herum in Aufruhr. Die Vögel krakeelten, die Nebelparder schrien, alles, was kreuchte und fleuchte, war von einer beispiellosen Rastlosigkeit erfüllt. Viele vernunftlose Geschöpfe besitzen ein Gespür für drohendes Unheil. Sie fliehen, ehe ein Vulkan ausbricht, oder werden unruhig, bevor die Erde zu beben beginnt. So auch der vergessene Jäger.
    Er fürchtete sich vor dem dunklen Gebilde, das er vor einigen Tagen zum ersten Mal am Himmel bemerkt hatte. Unaufhaltsam dehnte es sich vom Zentrum der Welt her aus gleich einer wabernden Rauchwolke, die sich mal hierhin und mal dorthin ausstreckt. Bald würde eine dieser rußschwarzen Auswüchse sein Jagdgebiet verschlingen. Wie seine Mitbewohner im Nebelwald konnte er fühlen, dass eine Gefahr von der Wolke ausging, ohne zu wissen, welcher Natur sie war oder wohin er vor ihr fliehen sollte.
    Vielleicht zogen die Fischköpfigen das Unheil an, und er brauchte sie nur alle zu töten, um es abzuwenden. Immerhin war das bedrohliche Dunkel mit ihnen zusammen erschienen. Eine riesige Schlange hatte ein kleines Rudel der gestreiften Zweibeiner am Seeufer abgesetzt. Seitdem schlichen die Fremden mit ihren Waffen über die Scholle, so als seien sie auf der Pirsch.
    Im Revier des vergessenen Jägers.
    Ihr Verhalten machte ihn aggressiv. Er war der Herr dieser Insel und ließ sich seine Beute von niemandem streitig machen.
    Seit jenem Tag beobachtete er die Fischköpfigen, er tötete sie, und wenn es ihm der Hunger befahl, dann fraß er sie. Die ersten hatte er noch im Schutz der Dunkelheit erlegt – wie jedes kluge Tier verbarg er sich möglichst vor den Menschen. Später, als die Wolke immer näher kam und die Zahl seiner Nebenbuhler auf eine Handvoll geschrumpft war, jagte er sie sogar im gedämpften Licht des Nebelwaldes …
    Vor ihm knackte es im Dickicht. Er duckte sich. Der Gestreifte befand sich auf dem Weg zu dem grünen See, wo er und seine Artgenossen mit der Schlange gelandet waren. Wollte er von der Insel fliehen?
    Auf einmal verdunkelte sich der Wald. Die allgegenwärtigen Stimmen der Tiere schwollen zu einem wilden Geschrei an. Das Blätterdach hoch oben wurde durchgeschüttelt wie von Windböen, weil die Bewohner der Wipfel sich wie toll gebärdeten. Ebenso die Kreaturen am Boden – sie flohen ziellos in alle möglichen Richtungen. Der Jäger blickte ängstlich zum Himmel empor.
    Die Wolke war angekommen.
    Sie drang in die schützende Hülle der Scholle ein. Wie ein dichter Pelz breitete sie sich über die Insel aus und verschlang dabei das Licht.
    Panik ergriff ihn. Das Fischgesicht war für ihn unwichtig geworden. Er brauchte ein Versteck. Unschlüssig lief er mal hierhin, dann wieder dorthin und suchte mit gehetztem Blick eine Höhle, ein Erdloch oder irgendeinen anderen Unterschlupf. Nichts.
    Unterdessen senkte sich die Finsternis wie eine wirbelnde Rußwolke auf den Wald herab. Als sie die ersten Tiere umfing, spielten diese völlig verrückt. Sie brüllten wie unter schrecklichen Schmerzen und verfielen der Raserei. Unweit des Jägers rannte sich eine Wildsau an einer knorrigen Eiche den Schädel ein. Eine Elster mit gebrochenem Genick fiel unmittelbar vor seine Füße.
    Der Vergessene hastete weiter. Das Dunkel näherte sich ihm jetzt von allen Seiten. Es schien sich mit dem Nebel verbündet

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