Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
er die Ganesin an.
Ihr blondes Haar schimmerte im Mondlicht, als sie nickte. »Ja. Er ist ein Jäger so wie du. Manchmal vergisst er seine Pflichten, und dann muss ich ihn daran erinnern.«
»Willst du mir damit etwas sagen, Siath?«
»Nichts, das dir nicht schon andere gesagt haben. Es ist ehrenvoll, wie du deine Familie schützt. Es macht dich liebenswert.«
»Aber?«
Siath zögerte. »Du bist der Träger des Feuerstabes, Taramis. Deine wahre Bestimmung ist es, die Kinder des Lichts vor der dagonisischen Plage zu bewahren. Vergiss das nicht, wenn du Gaal gegenüberstehst und eine Entscheidung treffen musst.«
»Was für eine Entscheidung?«
»Ob du sie retten willst oder die Welt.«
Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ich weigere mich, an so etwas überhaupt zu denken. Außerdem – was soll die Frage? Meine Familie ist auf Malon in Sicherheit.«
Die Ganesin hob den Blick zum Himmel empor und breitete die Hände aus. »Mein Mann und mein Sohn lebten hier, an diesem friedlichen, von Gao gesegneten Ort. Ich hatte auch geglaubt, auf Jâr’en seien wir sicher.«
Der hohe Schrei ließ den einsamen Wächter aufschrecken. »Wiiieeh!« , erscholl es über ihm, es war der charakteristische Ruf eines Goldmilans.
Im nächsten Augenblick schoss Tosu wie ein Blitz vom Himmel herab und landete vor dem Seelenbaum, der Taramis nun schon in der vierten Nacht als Spähposten diente. Er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.
Was hierauf geschah, war typisch für das Gartenvolk. Mit einem hellen Ruf holte Siath den Vogel zu sich und führte ein kurzes Zwiegespräch mit ihm. Für Taramis hörte sich alles gleich an, nur in der Färbung und im Rhythmus unterschieden sich die Laute. Vorsorglich suchte er die Verbindung zu Allon, der sich irgendwo in der Nähe herumtrieb. Endlich wandte sich die Ganesin ihm zu.
»Er ist hier.«
»Wer? Gaal?«
»Der Träger des Erkenntnisreifs.«
Taramis atmete tief durch. »Wo?«
Sie deutete in den Garten hinein. »Ungefähr vier Meilen in diese Richtung.«
Er schauderte. In diesem Bereich des Heiligen Hains standen nicht nur die Seelenbäume von Shúria und Ari, sondern auch sein eigener. Eine dunkle Ahnung trieb ihn zur Eile an. »Dann lass uns auf die Jagd gehen. Schnell!«
Siath weckte die Gefährten, die in der Höhle unter dem Baum schliefen. Unterdessen legte Taramis eilig seinen Waffengurt an, hängte sich Bogen, Pfeilköcher und das Futteral mit dem Stab Ez um und griff zum Schild Schélet. Das Hemd der Unverwundbarkeit trug er ohnedies Tag und Nacht. Bleib ruhig! , beschwor er sich. Hatte Gaal es sich anders überlegt und nahm sich nun den Symbionten seines Erzfeindes Taramis vor? Oder die von Shúria und Ari?
Als Jagur und Usa unter den Stelzwurzeln hervorkrochen, war auch Allon eingetroffen. Der Schwanz des Ippos bewegte sich wie bei einer jagenden Katze hin und her. Zweifellos spürte es die Anspannung seines Herrn, der gerade knapp die Aufgaben jedes seiner Gefährten zusammenfasste.
»Usa, du alarmierst den Hüter und die Tempelwache – riegelt den Garten und die Insel ab. Ich will, dass nicht mal eine Maus durch eure Postenkette schlüpfen kann. Und du, Siath, verbreitest die Nachricht an deine Schwestern und Brüder, damit sie ihre Tiere in dem betreffenden Gebiet zusammenziehen.« Taramis legte seine Hand auf Jagurs Schulter. »Ich hoffe, deine Lehi ist noch nicht eingerostet.«
»Da mach dir mal keine Sorgen.«
»Dann komm!«
Die zwei schwangen sich auf den Rücken des Ippos, der Größere mit deutlich mehr Anmut als der Kleinere.
»Soll ich euch Tosu mitgeben, damit er euch führt?«, fragte Siath.
»Das wird nicht nötig sein«, antwortete Taramis und schnalzte mit der Zunge.
Allon stürmte zwischen den Bäumen hindurch. Bei der nächsten lichteren Stelle breitete er seine Schwingen aus und stieg in den Nachthimmel empor.
»Ich sehe nur stockfinstere Baumkronen«, brummte Jagur. »Wie sollen wir den Fischkopf in diesem Ozean aus Blättern und Nadeln finden?«
Inzwischen hatten sie auf Allons Rücken das Zielgebiet erreicht. Taramis sammelte seinen Willen und murmelte: »Das wirst du gleich erleben.«
Der kleine Recke keuchte. »Da unten! Siehst du das Funkeln?«
»Eigentlich spricht man von Fährtenglühen . Und: Ja. Ich seh’s. Schließlich hab ich es selbst entfacht.« Taramis knirschte mit den Zähnen. Die Spur glitzerte wie glühender Goldstaub. Er kannte die Stelle, an der sie ihren Ursprung nahm. Sein Gegenspieler hätte sich mithilfe des
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