Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Mutter und die anderen?«
»Sie werden gleich hier …« Erschrocken hielt er inne, weil gerade ein Ruck durch den Schwaller gegangen war.
»Die Drachenkröte beginnt zu steigen«, erklärte Almin. Er schloss und öffnete ein paar Mal die Augen. »Wir müssen ins Wasser springen, ehe wir zu hoch sind. Findest du nach draußen?«
Ari nickte. »Du bist zu groß für den Weg, den ich gekommen bin, aber ich habe hinten mehrere Ausgänge gesehen, die auf den Panzer hinausführen.«
»Dann nichts wie los!«
Ari half seinem Freund beim Aufstehen. Der Seemann ächzte vor Schmerzen und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Nach wenigen Schritten hatte er sich jedoch so weit unter Gewalt, dass er allein zu gehen vermochte.
Eilig durchquerten sie das Labyrinth in umgekehrter Richtung. An keinem Abzweig zögerte der Finder. Ein lauter werdendes Gurgeln und Gluckern begleitete ihre Flucht. Wasser rann aus Hohlräumen, während die Drachenkröte sich langsam aus dem See erhob.
»Uns läuft die Zeit davon«, zischte Almin. Sie hatten gerade eine Kammer erreicht, die von bernsteinfarbenem Licht erfüllt war.
»Das ist der Ausgang«, antwortete Ari und deutete zum Ende einer Rampe aus Schildpatt.
»Lass mich vorgehen. Sollten sie mich entdecken, fliehst du auf dem Weg, auf dem du gekommen bist.«
Der Seemann zwängte sich an dem Jungen vorbei und krabbelte auf allen vieren die schräge Ebene hinauf. Oben angelangt reckte er den Kopf ins Freie. Er sah sich kurz um und winkte dann Ari zu sich.
Nacheinander schlüpften sie durch die Öffnung nach draußen. Von den Kesaloniern war nichts zu sehen, was allerdings nicht viel bedeutete. Der gewölbte Panzer der Drachenkröte war unübersichtlich wie eine Hügellandschaft. Hinter jeder Erhebung konnte eine Überraschung lauern.
»Bleib geduckt«, wisperte der Duner. »Wir springen vom Schwanzende aus ins Wasser.«
Almin übernahm jetzt die Führung. Mit vorgebeugtem Oberkörper huschte er durch die Senken zwischen den rauen Hornbuckeln. Der Junge heftete sich an seine Fersen.
Unbehelligt erreichten sie den Rand des Panzers. Ari schnappte unwillkürlich nach Luft, als er in die Tiefe blickte. Die Drachenkröte befand sich etwa zehn Mannlängen über dem See und stieg stetig weiter auf. Sein Blick wanderte zur Mole. Dort, inmitten zahlreicher Schaulustiger, entdeckte er seine Mutter. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und sah mit großen Augen zu ihm hinauf. Hinter ihr kämpften sich Onkel Lauris, Ischáh, Keter und Simli durch die Menge.
Ein unerwarteter Stupser an der Schulter lenkte Aris Aufmerksamkeit wieder auf den Freund an seiner Seite.
»Was zögerst du noch? Komm!«, rief Almin, machte einen Schritt nach vorn und verschwand in der Tiefe.
Er hatte wohl angenommen, der sanfte Stoß reiche aus, um den Jungen ebenfalls über den Rand des Panzers zu befördern. Stattdessen schreckte Ari aber vor dem Sturz zurück und kämpfte mit rudernden Armen um sein Gleichgewicht. Da hörte er hinter sich ein Keuchen.
Sofort ging Ari in die Knie, um sich mit einem Satz in Sicherheit zu bringen. Während er sich abstieß, legte sich eine eiserne Klammer um sein Handgelenk. So jedenfalls fühlte es sich an, als der Kesalonier ihn packte und mit einem schmerzhaften Ruck zurückriss. Im Fallen prallte Ari mit dem Hinterkopf auf den Krötenpanzer. Er hatte das Gefühl, sein Schädel zerplatze wie ein Feuerwerkskörper. Hinter den Sternen, die vor seinen Augen tanzten, erschien eine tätowierte Fratze, die sich tief über ihn beugte. Ein Mund voller Zahnlücken grinste ihn an. »Schau an! Wen haben wir denn da?«
Shúria war wie gelähmt. Sie zitterte am ganzen Körper und konnte sich trotzdem nicht von der Stelle rühren. Wie gebannt starrte sie zum Himmel empor. Obwohl sie Ari längst aus den Augen verloren hatte, verfolgte sie weiter mit Blicken die aufsteigende Drachenkröte, so als könne sie das Tier dadurch zur Umkehr zwingen. Von der Aufregung, die sie umgab, bekam sie nur wenig mit.
Die Gunst der Schaulustigen auf dem Hafendamm war eine wankelmütige Hure. Eben noch hatte sie ganz einem kleinen, wütenden Mann und seinem quiekenden Muli gehört, im nächsten Moment schon war sie zu Almin gewechselt. Sein halsbrecherischer Sprung von dem Schwaller wurde wie ein akrobatisches Kunststück beklatscht. Als er sodann im See zu ertrinken drohte, steigerte sich das Interesse der Zuschauerschaft ins Ekstatische. Eilig schloss man Wetten darauf ab, ob er absaufen oder sich
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