Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Irgendetwas verband den König von Dagonis mit den Weißblütern. Zumindest einen hatte er getötet und sich so seines Wesens bemächtigt. Da die Bewohner der eisigen Insel ihre Heimat so gut wie nie verließen, war Gaal wohl persönlich nach Zior gereist. Vielleicht hatte er mit dem Tyrannen sogar einen Pakt geschlossen, so wie einst mit Lebesi und später mit ihrem Sohn Og. Das würde sich herausfinden lassen.
Endlich erreichten die Reiter das zweiflüglige, von Sturmlampen erhellte Haupttor. Das Gitter war klar wie Glas.
»Ist das aus Eis?«, wunderte sich Jagur. Er zog seine Streitaxt aus der Gürtelschlaufe.
»Steck sie sofort wieder weg«, zischte Taramis. »Oder willst du mit deinem kriegerischen Gehabe unsere Verhandlungsposition schwächen? Wir kommen als Botschafter des Friedens.«
Brummend schob der Kirrie den Axtstiel zurück in den Gürtel.
Der Wortwechsel hatte zwei Wachposten auf den Plan gerufen, die aus ihren Unterständen in den beiden Torsäulen kamen. Ihre Bewaffnung – Langschwerter und Lanzen – bestand augenscheinlich aus demselben Material wie das Gitter. Ansonsten waren die Gestalten trotz der klirrenden Kälte gänzlich unbekleidet. Nicht einmal Haare wuchsen auf ihren großen Köpfen. Siath hatte behauptet, die Zioraner könnten weder schwitzen noch frieren und ihr weißes Blut erstarre niemals zu Eis.
»Sind das nun Jungs oder Mädels?«, raunte Jagur. Sein Blick erkundete die Körperregionen unterhalb der Waffengurte.
»Sowohl als auch«, erwiderte Taramis ebenso leise.
Die Posten kreuzten hinter dem Tor ihre Spieße, und einer fragte ohne jede Spur von Herzlichkeit: »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier? Wie seid Ihr in die Stadt gekommen?«
Taramis beugte das Haupt zum Gruß. »Wir sind Gesandte aus Jâr’en. Der Hohepriester Adriël schickt uns mit einer vertraulichen Botschaft zum Tyrannen von Zior. Und in Eure Stadt sind wir auf dieselbe Weise gelangt, wie Ihr es wohl ebenfalls zu tun pflegt.« Er deutete vielsagend auf die angelegten Schwingen des Ippos.
»Ihr hättet das Tor nehmen sollen.«
»Das war schon geschlossen.«
»Eben. Morgen früh wird es aufgemacht – sofern der Sturm sich bis dahin gelegt hat.«
»Verfährt man hier so mit den Gesandten des Hohepriesters? Bisher war der Tyrann ein verlässlicher Verbündeter im bunten Reigen der Kinder des Lichts. Hat sich das neuerdings geändert?«
»Ich bin nicht befugt, Euch darüber Auskunft zu erteilen.«
Die zurückhaltende Antwort ließ Taramis aufhorchen. »Es ist auch nicht unsere Absicht, Euch länger als nötig von Euren Pflichten abzuhalten. Ihr braucht uns nur Eurem Herrn oder seinem Zeremonienmeister zu melden.«
Die beiden Posten sahen sich an. Der Wortführer nickte dem anderen zu. Während er einen Schlüssel aus dem Gürtel zog und sich am Schloss zu schaffen machte, drehte sich sein Kamerad um und stieß einen schrillen Pfiff aus.
»Na endlich«, brummte Jagur.
»Freu dich nicht zu früh«, flüsterte Taramis.
Der Wortführer öffnete einen der Torflügel und deutete auf den Platz dahinter. »Ihr dürft eintreten. Ich muss Euch allerdings bitten abzusteigen und Eure Waffen abzulegen.«
Die Reiter sprangen in den Schnee.
Jagur nestelte an seiner Streitaxt herum. »Meine Lehi ist wie eine Gefährtin für mich. Ich trenne mich nur ungern von ihr.«
Der Posten bedachte ihn mit einem kalten Blick aus seinen großen roten Augen. »Keine Klinge aus Stahl oder Eisen darf auch nur in die Nähe des Tyrannen.«
»Was ist mit Euren Schwertern?«
»Die sind aus Kristall.«
Jagur wandte sich seinem Freund zu und knurrte: »Das schmeckt mir nicht.«
»Konzentrier dich auf deine Gabe«, antwortete Taramis leise und fügte laut hinzu: »Gib ihm schon deine Axt, Kamerad.« Er reichte dem Zioraner seinen Waffengurt mit dem Dolch und der Klinge Malmath.
»Euren Speer müssen wir ebenfalls verwahren«, sagte der Posten und deutete mit dem Kinn auf Ez.
Taramis streifte das froststarre Futteral ab. »Es ist nur ein hölzerner Pilgerstab.«
»Warum steckt er in einer Hülle?«
»Er ist ein Geschenk meines Vaters, sehr alt und seit vielen Generationen im Besitz meiner Familie. Wollt Ihr ihn untersuchen?« Er richtete die Spitze des Feuerstabes jäh auf das Gesicht des Soldaten.
Der Flügelmensch wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Nehmt den Stecken weg!«
Taramis zuckte die Achseln und schob Ez wieder in die Umhüllung.
Der Zioraner gab das Tor frei, nachdem Jagur ihm die Streitaxt
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