Die Zeugin
den Todesfall nicht sofort mitzuteilen brauchte. Der Beamte war an diesem Morgen ins Krankenhaus zurückgekehrt, um Kendall zu berichten, was es Neues hinsichtlich des Wagens gab. Taucher hatten den Fluà abgesucht, hatte er erzählt, aber nichts finden können. Die Strömung muÃte das Wrack weit von der Unfallstelle weggetrieben haben.
Er hatte dauernd den Kopf geschüttelt und erklärt, daà sich unmöglich sagen lieÃe, wann und wo es wieder auftauchen würde. »Der Bingham Creek flieÃt gröÃtenteils durch total unberührte Wildnis mit so nassem Boden, daà wir kein schweres Gerät einsetzen können. Da der Regen wohl kaum demnächst aufhört, werden wir erst in ein paar Tagen weitersuchen können.«
In ein paar Tagen.
Sie hatten keine Ausweise bei sich. Fürs erste war das Autowrack mitsamt Inhalt unauffindbar. Niemand kannte ihren Aufenthaltsort. Sein Gedächtnis war verschüttet, sie hatte Zeit.
Wenn sie die Nerven behielt und es geschickt anstellte, konnte sie einen ordentlichen Vorsprung für sich herausholen. Versagte sie, würde das schreckliche Konsequenzen haben. Aber war sie jemals vor Taten zurückgeschreckt, wenn die Situation es erforderte? Die Lage war auch ausweglos gewesen, als sie nach Prosper zog.
Und noch auswegloser geworden, so daà sie fliehen muÃte.
»Mi�«
Kendall schüttelte die Gedanken ab. »Verzeihung. Haben Sie etwas gesagt?«
»Ist noch was?« Der Kassierer sah sie verwundert an. Dabei wollte sie auf gar keinen Fall, daà er sich später an die Frau in der Schwesternkleidung erinnerte, die so weggetreten gewirkt hatte.
»Nein, nichts. Danke.«
Hastig raffte sie ihre Einkäufe zusammen und verschwand durch den Kassengang zum Ausgang, wo die Kunden darauf warteten, daà der Regen nachlieÃ.
Kendall blieb nicht stehen. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern und stürzte sich in den Wolkenbruch. Kurz darauf fuhr sie mit dem geborgten Wagen zur nächsten Tankstelle und kaufte sich eine Lokalzeitung. Eilig überflog sie die Seiten und ging dann zu dem Münztelefon an der Seitenwand des Tankstellengebäudes.
»Hallo? Ich rufe wegen Ihrer Annonce an. Haben Sie den Wagen schon verkauft?«
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»Seine Verletzungen sind also nicht so gravierend?«
»Ein gebrochenes rechtes Schienbein und eine Kopfwunde. Sonst fehlt ihm nichts.«
Kendall hatte den Arzt vor dem Krankenzimmer im Korridor abgefangen. Er trug StraÃenkleidung und hatte Eau de Cologne für eine ganze Kompanie benutzt. Es eilte ihm offensichtlich, seine Schicht zu beenden und sich in den Samstagabend zu stürzen, aber Kendalls Fragen duldeten keinen Aufschub. Ihr verstörter Blick sagte ihm, daà ihr diese Auskunft nicht genügte. Er atmete mit einem tiefen Seufzer aus.
»Beides ist kein Kleinkram, aber auch keine Katastrophe. Wenn Ihr Mann sein Bein nicht belastet, sollte es in etwa sechs Wochen geheilt sein. Er durfte heute schon aufstehen, um die Krücken auszuprobieren. Wettrennen wird er freilich nicht gewinnen, aber wenigstens kann er sich bewegen.
Die Fäden ziehen wir in einer Woche bis zehn Tagen. Seine Schädelhaut wird eine Weile recht empfindlich sein, und vermutlich bleibt eine Narbe zurück, aber keine, die ihn wirklich entstellen würde. Er wird so gut aussehen wie zuvor.«
»Das sagten Sie bereits.« Kendall blieb reserviert, ohne auf sein vielsagendes Lächeln zu reagieren. »Die meisten Sorgen mache ich mir wegen der Amnesie.«
»Die ist nach einem Schlag auf den Kopf und einer Gehirnerschütterung nicht ungewöhnlich.«
»Aber normalerweise fehlen einem nur ein paar Minuten vor dem Unfall und die Ereignisse kurz danach, habe ich recht?«
»Das Wort normalerweise sollte man in der Medizin nie verwenden.«
»Trotzdem kommt es nicht oft vor, daà das Gedächtnis komplett ausfällt, oder?«
»Nicht oft, ja«, gab er widerwillig zu.
Am Nachmittag hatte sie alles gelesen, was in der kleinen Krankenhausbücherei über alle nur möglichen Formen von Amnesie verfügbar war. Was sie daraus entnommen hatte, stimmte mit der Einschätzung des Arztes überein. Dennoch war sie nicht zufrieden. Sie muÃte alle Eventualitäten berücksichtigen, so unwahrscheinlich sie auch sein mochten.
»Wie steht es mit anterograder Amnesie?«
»Machen Sie sich nicht unnötig verrückt!«
»Ich
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