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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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hätte, und mit Wissen, das andere Persönlichkeiten in seinen Verstand eingebracht hatten. Die tatsächliche Welt wirkte mit einemmal blaß und verschwommen wie ein Bild, das man in den Sand zeichnet, worüber ein launischer Wind bläst. Ich hätte mich nicht darauf konzentrieren können, selbst wenn ich gewollt hätte, hatte aber nicht den Wunsch dazu. Das schwarze Gewebe unsres Gefängniszeltes verblaßte zu einem bloßen Grau, und die Winkel seiner Spitze wirbelten kaleidoskopisch umher. Ich war gestürzt, ohne daß ich’s gemerkt hatte, und lag dicht beim Leichnam meines Vorgängers, wo meine krampfhaften Versuche aufzustehen nur dazu führten, daß ich wie wild auf den Boden trommelte.
    Wie lange ich dort gelegen habe, weiß ich nicht. Ich hatte das Messer – nun immer noch mein Messer – abgewischt und verwahrte es, wo er es verwahrt hatte. Lebhaft könnte ich mir ausmalen, wie ein Selbst aus Dutzenden überlagerter Erinnerungen die Zeltwand aufschlitzte und in die Nacht entwich. Severian, Thecla, unzählige andere flohen. So echt wirkte dieser Gedanke, daß ich oft glaubte, das getan zu haben; aber immer, wenn ich durch die Bäume hätte laufen und den erschöpften Schläfern des ascischen Heeres hätte ausweichen müssen, fand ich mich statt dessen dicht beim bedeckten Leichnam im vertrauten Zelt wieder.
    Hände ergriffen die meinen. Ich vermutete, die Offiziere mit ihren Peitschen seien zurückgekehrt, und versuchte aufzustehen, um nicht geschlagen zu werden. Aber hundert bunte Erinnerungen drängten sich mir auf wie die Bilder, die man in einer billigen Galerie in rascher Folge gezeigt bekommt: ein Wettrennen, wuchtige Orgelpfeifen, ein Diagramm mit beschrifteten Winkeln, eine Dame in einem Karren.
    Jemand sagte: »Fehlt dir was? Was ist denn mit dir?« Ich spürte den Speichel von meinen Lippen tropfen, aber keine Silbe kam über sie.
     

 
Die Korridore der Zeit
     
    Ich bekam einen klatschenden Schlag ins Gesicht.
    »Was hast du denn? Er ist tot. Hast du ein Rauschmittel genommen?«
    »Rauschmittel, ja.« Jemand anders sprach, und im nächsten Moment wurde mir klar, wer: Severian, der junge Folterer.
    Aber wer war ich?
    »Steh auf! Wir müssen raus hier!«
    »Wache.«
    »Wachen«, verbesserte uns die Stimme. »Es waren drei. Wir haben sie umgebracht.«
    Ich ging über eine Treppe, weiß wie Salz, hinab zu Seerosen in stehendem Wasser. Neben mir ging ein sonnengebräuntes Mädchen mit breiten, schrägen Augen. Über ihre Schulter spähte das Gesicht eines Eponyms. Der Bildhauer hatte es aus Jade gehauen, so daß es wirkte wie ein Gesicht aus Gras.
    »Stirbt er?«
    »Jetzt sieht er uns. Sieh, seine Augen!«
    Ich wußte, wo ich war. Bald würde der Anpreiser den Kopf in den Zelteingang stecken und mir sagen, ich solle endlich verschwinden. »Über der Erde«, sagte ich. »Du hast mir gesagt, ich würde sie über der Erde finden. Wie einfach. Sie ist hier.«
    »Wir müssen gehn.« Der grüne Mann nahm mich beim linken, Agia beim rechten Arm, und gemeinsam führten sie mich hinaus.
    Wir gingen ein langes Stück, wobei wir, genau wie ich’s mir vorgestellt hatte, hin und wieder über schlafende Ascier stolperten.
    »Sie sind recht unvorsichtig«, flüsterte Agia. »Vodalus erklärte mir, sie seien so gehorsam, daß ihre Führer kaum mit verräterischen Anschlägen rechneten. Im Krieg werden sie deshalb oft von unseren Soldaten überrumpelt.«
    Das verstand ich nicht. »Unseren Soldaten …«, wiederholte ich wie ein Kind.
    »Hethor und ich werden nicht mehr unter ihren Fahnen fechten. Wie könnten wir auch, nachdem wir sie gesehen haben? Mein Anliegen bist du, Freund.«
    Allmählich kam ich wieder zu mir, und die Gedanken, die mein Denken ausmachten, ordneten sich. Mir war einmal gesagt worden, Autarch bedeute »Selbst-Herrscher«, und ich verstand nun, wieso es zu diesem Titel gekommen war. Ich sagte: »Du wolltest mich umbringen. Nun befreist du mich. Du hättest mich erstechen können.« Ich sah einen krummen Dolch von Thrax zitternd in Casdoes Fensterladen stecken.
    »Ich hätt’ dich viel einfacher umbringen können. Hethors Spiegel haben mir einen Wurm, kaum länger als deine Hand, gegeben, der weiß leuchtet. Ich brauche ihn nur zu werfen, und er tötet und kriecht zu mir zurück. So habe ich die Wächter einen um den anderen umgebracht. Aber der grüne Mann hier hätt’s nicht erlaubt, und ich hätt’s nicht gewollt. Vodalus hat mir versprochen, daß deine Qualen sich über Wochen erstrecken

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