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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Brücke, viel kürzer als die Trittleiter vom Flieger des Autarchen, glitt hervor, bis sie auf dem Boden auflag.
    Herunter kamen Meister Malrubius und mein Hund Triskele.
    In diesem Moment war ich wieder im Vollbesitz meiner Persönlichkeit, die nicht mehr ganz mein eigen gewesen war, seitdem ich mit Vodalus Alzabo getrunken und Theclas Fleisch gegessen hatte. Nicht daß Thecla nun verschwand (nein, das könnte ich nicht wollen, obgleich sie eine in vielerlei Hinsicht grausame und törichte Frau gewesen war), oder mein Vorgänger und die hundert Sinne, die im seinen vereint waren, gewichen wären. Die alte, schlichte Struktur meiner Persönlichkeit war nicht mehr; aber die neue, komplexe Struktur verwirrte mich nicht mehr so entsetzlich. Es war ein Labyrinth, aber ich war Besitzer und sogar Erbauer dieses Labyrinths, das in allen Gängen meinen Daumenabdruck trug. Malrubius tippte mir auf die Schulter, ergriff meine suchende Hand und ließ sie sachte über seine kühle Wange gleiten.
    »Du bist also echt«, sagte ich.
    »Nein. Wir sind fast, wofür du uns hältst – Mächte oberhalb der Bühne des Lebens. Nicht ganz Gottheiten. Du bist Schauspieler, glaube ich.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Kennst du mich nicht, Meister? Du hast mich unterrichtet, als ich ein Knabe war, und ich bin Geselle der Zunft geworden.«
    »Dennoch bist du auch Schauspieler. Du hast genauso recht, wenn du dich auch so siehst. Du warst auf der Bühne, als wir auf dem Feld bei der Stadtmauer mit dir sprachen, und als wir dich das nächste Mal sahen, spieltest du im Haus Absolut. Es war ein gutes Stück; ich hätt’s gern bis zum Ende gesehn.«
    »Du warst im Publikum?«
    Meister Malrubius nickte. »Als Schauspieler, Severian, verstehst du sicherlich meine Andeutung von vorhin. Damit ist eine übernatürliche Macht gemeint, die im letzten Akt personifiziert auf die Bühne gebracht wird, um dem Stück ein gutes Ende zu geben. Nur schlechte Stückeschreiber halten es so, sagt man, aber wer das sagt, vergißt, daß es besser ist, man hat eine Macht, die an einem Seil herabgelassen wird, und ein Spiel mit einem guten Ende als nichts und ein Spiel mit schlechtem Ende. Hier ist unser Seil – viele Seile, und ein tüchtiges Schiff dazu. Willst du an Bord kommen?«
    Ich sagte: »Bist du deshalb so, wie du bist, damit ich dir traue?«
    »Wenn du willst, ja.« Meister Malrubius nickte, und Triskele, der mir zu Füßen gesessen und zu mir heraufgeschaut hatte, lief in seinem holprigen, dreibeinigen Galopp halb über die Brücke hinauf, wo er sich umwandte und mich, mit dem Schwanzstumpf wedelnd, in hündischer Manier treuherzig ansah.
    »Ich weiß, du kannst nicht sein, was du zu sein scheinst. Triskele vielleicht, aber dich, Meister, hab’ ich mit zu Grabe getragen. Dein Gesicht ist keine Maske, aber irgendwo ist dennoch eine Maske im Spiel, und unter dieser Maske steckt, was der Volksmund Cocogens nennt, obschon ihr, wie Dr. Talos mir einmal erklärt hat, lieber Hierodulen genannt werden wollt.«
    Wieder legte Meister Malrubius die Hand auf die meine. »Wir wollen dich nicht täuschen, wenn wir können. Aber ich hoffe, daß du dich selbst verleugnest – zum Besten deiner selbst und der ganzen Urth. Du stehst – mehr als du denkst – unter der betäubenden Wirkung einer Droge, genau wie du schlaftrunken gewesen bist, als wir auf jener Weide bei der Mauer mit dir gesprochen haben. Ohne Droge hättest du vielleicht nicht den Mut, mit uns zu gehn, selbst wenn du uns sähest, selbst wenn du vernunftmäßig wüßtest, daß du’s solltest.«
    Ich sagte: »Bis jetzt hat sie mich weder davon noch von sonst irgend etwas überzeugt. Wohin willst du mich bringen, und wieso willst du mich dorthin bringen? Bist du Meister Malrubius oder ein Hierodule?« Während ich dies sagte, wurde ich mir immer deutlicher der Bäume bewußt, die uns umstanden wie Soldaten, wenn die Offiziere des Stabes irgendeine Taktik erläutern. Noch war es dunkel, aber selbst hier dämmerte es schon.
    »Weißt du, was dieses Wort Hierodule, das du gebrauchst, bedeutet? Ich bin Meister Malrubius und kein Hierodule. Vielmehr diene ich jenen, denen auch die Hierodulen dienen. Hierodule heißt heiliger Sklave. Was meinst du, kann es Sklaven ohne Herren geben?«
    »Und du bringst mich …«
    »Zum Ozean, um dich am Leben zu erhalten.« Als hätte er meine Gedanken gelesen, ergänzte er: »Nein, wir bringen dich nicht zu den Buhlinnen Abaias, die dich verschont und gerettet haben, weil du

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