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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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was sich an der Front tut, und vielleicht Verstärkung schicken.« Ich dachte an Lomer und Nicarete und die übrigen Gefangenen im Vorzimmer. »Und vieles mehr haben wir dort zu erledigen«, fügte ich hinzu.
    Meister Palaemon rieb sich das Kinn. »Möchtet Ihr, bevor Ihr geht, Severian – Autarch, einen Rundgang durch die Zellen machen, nur um der alten Zeiten willen? Ich könnte wetten, die Männer draußen wissen nichts von der Tür, die zur Westtreppe führt.«
     
    Es ist die am seltensten benutzte Treppe im Turm und vielleicht älteste, gewiß jedoch die, die im ursprünglichsten Zustand erhalten ist. Die Stufen sind schmal und steil und winden sich über eine schwarzgerostete Mittelsäule hinab. Die Tür zum Saal, worin ich – als Thecla – dem Gerät namens Revolutionär aufgeschnallt worden war, stand halb offen, so daß ich, obwohl wir nicht eintraten, die altertümlichen Apparate sehen konnte: greulich, doch weniger grausig als die blankpolierten, indes viel älteren Maschinen auf Baldanders’ Burg.
    In die Oubliette zu gehen bedeutete die Wiederbegegnung mit etwas, das ich seit meiner Flucht aus Thrax für nicht mehr vorhanden gehalten hatte. Freilich waren die Metallkorridore mit ihren langen Türreihen unverändert da, und als ich durch die Gucklöcher in diesen Türen spähte, sah ich vertraute Gesichter, die Gesichter von Männern und Frauen, die ich als Geselle gespeist und bewacht hatte.
    »Ihr seid bleich, Autarch«, bemerkte Meister Palaemon. »Ich spüre, daß Euch die Hand zittert.« (Ich stützte ihn ein bißchen mit der Hand am Arm.)
    »Du weißt, daß unsre Erinnerungen nie verblassen«, entgegnete ich. »Für uns sitzt die Chatelaine Thecla noch in einer dieser Zellen und der Geselle Severian in einer anderen.«
    »Ich vergaß. Ja. Es muß entsetzlich für Euch sein. Ich wollte Euch zur ehemaligen der Chatelaine führen, aber vielleicht möchtet Ihr die lieber nicht sehn.«
    Ich verlangte ausdrücklich, daß wir sie aufsuchten; allerdings war sie, wie sich zeigte, mit einem neuen Klienten belegt und die Tür abgesperrt. Ich hieß Meister Palaemon, den diensthabenden Bruder zu rufen, damit er uns aufschließe, und betrachtete dann eine Zeitlang das schmale Bett samt Tischchen. Zum Schluß erst bemerkte ich den Klienten, der auf dem einzigen Stuhl saß, große Augen machte und eine unbeschreibliche Miene, eine Mischung aus Hoffnung und Staunen, aufgesetzt hatte. Ich fragte ihn, ob er mich kenne.
    »Nein, Beglückter.«
    »Wir sind kein Beglückter. Wir sind dein Autarch. Warum bist du hier?«
    Er stand auf und sank auf die Knie. »Ich bin unschuldig! So glaubt mir doch!«
    »Gut«, sagte ich. »Wir glauben dir. Aber wir möchten erfahren, wessen man dich bezichtigt und wie man dich überführt hat.«
    Mit schriller Stimme platzte er mit einer so verwickelten und verworrenen Geschichte heraus, wie sie mir mein Lebtag noch nicht zu Ohren gekommen war. Seine Schwägerin habe sich zusammen mit seiner Mutter gegen ihn verschworen. Sie hätten verbreitet, er schlage seine Frau Gemahlin und habe seine kranke Frau Gemahlin im Stich gelassen, er habe gewisse Gelder gestohlen, die ihr Vater ihr anvertraut habe für bestimmte Verwendungen, mit denen er nicht einverstanden sei. Während er dies (und vieles mehr) erzählte, prahlte er mit seiner eigenen Klugheit und klagte, die Listen, Tücken und Lügen der anderen hätten ihn in diesen Kerker gebracht. Er versicherte, das fragliche Gold habe es nie gegeben, erklärte aber auch, seine Schwiegermutter habe mit einem Batzen davon den Richter bestochen. Er sagte, er habe nichts von der Krankheit seiner Frau gewußt und ihr den besten Arzt besorgt, den er sich habe leisten können.
    Darauf ging ich in die nächste Zelle und hörte diesen Klienten an, sodann in die übernächste und überübernächste, bis ich vierzehn besucht hatte. Elf Klienten beteuerten ihre Unschuld, manche besser als der erste, andere sogar noch schlechter; freilich fand ich keinen, dessen Beteuerungen mich überzeugten. Drei gestanden ihre Schuld (obzwar einer beschwor, und das ehrlich, wie ich meinte, die meisten Verbrechen, derer er angklagt gewesen sei, zwar begangen zu haben, jedoch einiger angeklagt worden zu sein, die er nicht begangen habe). Zwei davon gelobten aufrichtig, nichts mehr zu tun, was sie wieder in den Kerker brächte, schenkte ich ihnen nur die Freiheit; was ich tat. Die dritte – eine Frau, die Kinder entführt und gezwungen hatte, als Möbelstücke zu dienen

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