Die Zitadelle des Autarchen
in einem Zimmer, das sie eigens dafür hergerichtet hatte, wobei sie in einem Fall die Hände eines kleines Mädchens an die Unterseite einer Tischplatte nagelte, so daß es praktisch zum unfreiwilligen Tischfuß wurde – erklärte mir anscheinend ebenso ehrlich, sie wette, sie würde sich wieder diesem Sport, wie sie es nannte, widmen, denn es sei das einzige, was ihr wirklich Spaß bereite. Sie bat nicht um ihre Freilassung, sondern um die Umwandlung ihrer Strafe in einfache Haft. Sie war bestimmt verrückt, obgleich nichts in ihren Reden oder klaren blauen Augen darauf hindeutete; wie sie mir sagte, sei sie vor dem Prozeß untersucht und für zurechnungsfähig befunden worden. Ich berührte ihre Stirn mit der neuen Klaue, aber sie blieb wirkungslos wie die alte Klaue bei Jolenta und Baldanders.
Es drängte sich mir der Gedanke auf, daß die in beiden Klauen verkörperte Kraft mir selbst entstammt, weshalb ihr Schein, der von anderen als warm bezeichnet wird, von mir als kalt empfunden wird. Dieser Gedanke ist das mentale Gegenstück zu jener schmerzenden Kluft im Himmel, in die ich zu fallen gefürchtet habe, als ich in den Bergen geschlafen habe. Ich verstoße und fürchte es, weil ich mir so fieberhaft ersehne, daß es wahr wäre; und ich meine, wenn zumindest eine Spur Wahrheit darin enthalten wäre, müßte ich in mir darauf gestoßen sein. Das bin ich nicht.
Des weiteren gibt es, abgesehen von dieser fehlenden inneren Resonanz, begründete Einwände, wovon der wichtigste, überzeugendste und anscheinend unumgänglichste ist, daß die Klaue zweifelsohne Dorcas nach Jahrzehnten des Todes wiederbelebt hat – ohne daß ich gewußt habe, daß ich sie bei mir trage.
Dieses Argument scheint schlüssig zu sein; dennoch bin ich mir nicht sicher, ob dem so ist. Hab’ ich’s gewußt? Was ist eigentlich unter wissen zu verstehen? Ich habe angenommen, bewußtlos gewesen zu sein, als Agia mir die Klaue in die Gürteltasche gesteckt hat; aber vielleicht bin ich nur benommen gewesen, und außerdem ist man seit langem davon überzeugt, daß Bewußtlose sich ihrer Umgebung bewußt sind und innerlich auf Stimmen und Musik ansprechen. Wie sonst lassen sich die Träume erklären, die man durch Geräusche von außen auslösen kann? Was für ein Teil des Verstands ist überhaupt bewußtlos? Doch nicht der ganze, denn sonst würde das Herz nicht mehr schlagen und die Lungen nicht mehr atmen. Das Gedächtnis arbeitet zu einem großen Teil chemisch. All das, was ich von Thecla und dem früheren Autarchen habe, ist zuallererst chemisch – die Droge hat jeweils nur ermöglicht, daß die komplexen Gedankenverbindungen als Information in mein Gehirn eingedrungen sind. Kann es nicht sein, daß gewisse Informationen, die von äußeren Phänomenen stammen, sich unserem Gehirn chemisch einprägen, selbst wenn die elektrische Aktivität, von der unser bewußtes Denken abhängt, vorübergehend eingestellt ist?
Wenn freilich die Energie mir entstammt, dann brauchte ich doch, damit sie tätig würde, wohl ebensowenig um die Anwesenheit der Klaue zu wissen, wie wenn sie in der Klaue selbst ihren Ursprung hätte. Eine anderweitige starke Suggestion könnte genauso wirksam sein, und sicherlich hätte unsere holprige Fahrt mitten in die Domfreiheit der Pelerinen und der Weise, wie Agia und ich den Unfall, den die Tiere nicht überlebten, unbeschadet überstanden, eine solche Suggestion bewirken können. Von der Kathedrale waren wir zum Botanischen Garten geeilt, wo ich, ehe wir den Garten des Ewigen Schlafs betraten, einen mit Klauen bedeckten Busch gesehen hatte. Damals hielt ich die Klaue noch für einen Edelstein, aber könnten nicht sie dazu angeregt haben? Unser Verstand spielt uns oft solche sinnigen Streiche. In der gelben Hütte waren wir drei Personen begegnet, die uns für übernatürliche Erscheinungen hielten.
Wenn ich diese übernatürliche Kraft habe (die ich freilich nicht habe), woher habe ich sie dann? Ich habe mir zwei Erklärungen überlegt, die beide unerhört unwahrscheinlich sind. Dorcas und ich plauderten einmal über die symbolische Bedeutung der Dinge aus der realen Welt, die gemäß den Lehren der Philosophen für höhere Dinge stehen und auf einer niedrigeren Ebene selbst symbolisch dargestellt sind. Um ein lächerlich einfaches Beispiel zu wählen, stelle man sich einen Künstler in einer Dachstube vor, der einen Pfirsich malt. Wenn wir den armen Künstler an die Stelle des Increatus setzen, könnten wir
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