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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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das nicht hatte wissen können, und hatte sich mit dieser Auszeichnung das Recht verdient, einmal jährlich in Privataudienz empfangen zu werden – worum er noch nicht ersucht hat und vielleicht nie ersuchen wird.
    Nun war es ausgeschlossen, daß ich weiterhin in den Kleidern herumliefe, die ich am Leib trug. Der alte Kastellan hätte einen Herzschlag bekommen, wenn ich dies gewünscht hätte, und war so besorgt um meine Sicherheit, daß ein Inkognito einen ganzen Zug hintendreinschleichender Hellebardiere zur Folge gehabt hätte. Bald war ich angetan mit Jazerant in Lapislazuli, Stelzschuhen und Stephane; ein Zepter aus Ebenholz und ein weiter Damastumhang mit morschem Perlenbesatz machten das Ganze komplett. Sie waren unbeschreiblich alt, diese Dinge, stammten sie doch von einem Magazin aus der Zeit, als die Zitadelle noch Residenz der Autarchen gewesen war.
    Anstatt also, wie geplant, unsern Turm in demselben Mantel zu betreten, in dem ich ihn verlassen hatte, kehrte ich zurück als unkenntliche Figur in pompösem Prunkgewand, worunter eine spindeldürre, lahme, gräßlich vernarbte Person wandelte. In dieser Aufmachung nun rauschte ich in Meister Palaemons Studierstube, der sich dabei wohl halb zu Tode erschrak, hatte er doch erst vor wenigen Augenblicken erfahren, der Autarch sei in der Zitadelle und wünsche eine Unterredung mit ihm.
    Er wirkte auf mich, als sei er ziemlich gealtert während meiner Abwesenheit. Vielleicht aber hatte ich ihn einfach nicht so in Erinnerung, wie ich ihn als Verstoßener verlassen hatte, sondern so, wie ich ihn aus dem kleinen Klassenzimmer meiner Kindheit kannte. Dennoch möchte ich meinen, daß er sich um mich gesorgt hatte: schließlich war ich sein bester und liebster Schüler gewesen; seine Stimme hatte mir gegen Meister Gurloes’ Betreiben das Leben gerettet und sein Schwert hatte er mir weitergereicht.
    Aber ob er sich viel oder wenig gesorgt hatte, die Falten in seinem Gesicht jedenfalls schienen sich mittlerweile tiefer eingegraben zu haben; und sein schütteres Haar, das ich grau gewähnt hatte, war nun vergilbt wie antikes Elfenbein. Er kniete nieder und küßte mir die Hand und staunte nicht wenig, als ich ihn beim Aufstehen stützte und ihm bedeutete, sich wieder hinter sein Pult zu setzen.
    »Ihr seid zu gütig, Autarch«, sagte er. Dann, indem er sich eines alten Spruchs bediente: »Eure Gnade reicht von Sonne zu Sonne.«
    »Kennst du uns nicht mehr?«
    »Habt Ihr hier eingesessen?« Er beäugte mich durch das wunderliche Linsengebilde, das allein ihm noch zu sehen ermöglichte, und ich dachte mir, sein Augenlicht, das er lange vor meiner Geburt an der ausgebleichten Tinte alter Niederschriften der Zunft verausgabt hatte, müsse in der Zwischenzeit noch schlechter geworden sein. »Ihr hattet Martern zu erdulden, sehe ich. Freilich ein zu grobes Werk, als daß es, wie ich hoffe, unser Tun sein könnte.«
    »Es war nicht euer Tun«, versicherte ich und strich mir behutsam über die Narben an meiner Wange. »Nichtsdestoweniger mußten wir eine Weile in der Oubliette unter euerm Turm einsitzen.«
    Er seufzte – das flache Keuchen eines Greises – und blickte vor sich auf den Wust grauer Papiere auf seinem Tisch nieder. Als er redete, sprach er so leise, daß ich ihn nicht verstand und um Wiederholung bitten mußte.
    »Es ist soweit«, sagte er. »Ich wußte, es würde kommen, hoffte aber, bis dahin längst tot und vergessen zu sein. Wollt Ihr mich entlassen, Autarch? Oder einer anderen Aufgabe zuführen?«
    »Wir sind uns noch nicht schlüssig, was wir mit dir oder der Zunft, in der du dienst, anfangen werden.«
    »Es hilft nichts. Wenn ich Euch beleidige, Autarch, bitte ich um Nachsicht wegen meines Alters … aber es hilft nichts. Ihr werdet schließlich feststellen, daß Ihr Männer braucht, die tun, was wir tun. Nennt es Besserung, wenn Ihr wollt. Das wurde oft bewirkt. Nennt es Ritual, auch das war’s oft. Ihr werdet jedoch feststellen, daß die Sache unter diesem Schleier nur schlimmer wird. Wollt Ihr jene, die den Tod nicht verdienen, einsperren? Ihr werdet sehen, dann habt Ihr ein mächtiges Heer in Ketten liegen. Ihr werdet sehen, Ihr habt Häftlinge, deren Flucht eine Katastrophe wäre, und Ihr werdet sehen, daß Ihr Gehilfen braucht, die das Recht vollziehn an jenen, die Dutzende unter Qualen haben sterben lassen. Wer sonst sollte das tun?«
    »Niemand wird ein Recht wie eures vollziehen. Du sagst, unsere Gnade reiche von Sonne zu Sonne, und wir hoffen,

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