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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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sagen, sein Bild symbolisiere den Pfirsich und somit die Früchte des Bodens, während die schimmernde Rundung des Pfirsichs die üppige Schönheit der Weiblichkeit symbolisiere. Träte nun eine solche Dame in die Dachstube des Künstlers (ein unwahrscheinliches Ereignis, das wir um des Beispiels willen einrichten müssen), so würde sie sich bestimmt nicht darüber bewußt, daß ihre drallen Hüften und ihr fester Busen in einer Obstschale auf dem Tisch am Fenster ihre Entsprechung hätten, obgleich der Künstler vielleicht einzig daran denken muß.
    Aber wenn der Increatus nun in der Tat an der Stelle des Künstlers stünde, wäre es dann nicht möglich, daß solche Verbindungen, von denen viele für die Menschen stets unergründlich bleiben müßten, einen nachhaltigen Einfluß auf die Struktur der Welt ausübten, wie auch die Zwangsvorstellung des Künstlers seinem Bild Farbe verliehe? Wenn ich der bin, der die Jugend der Sonne durch den Weißen Born erneuern soll, wie es mir verkündet worden ist, kann es dann nicht sein, daß ich fast unbewußt (wenn dieser Ausdruck gestattet ist) die Attribute von Leben und Licht, die der erneuerten Sonne zu eigen sein werden, empfangen habe?
    Die andere Erklärung, die ich angeboten habe, ist eher eine bloße Mutmaßung. Aber wenn jene, wie Meister Malrubius offenbart hat, die mich auf den Sternen prüfen wollen, mich meiner Männlichkeit berauben, falls ich ihrem Urteil nicht standhalte, wäre dann nicht auch denkbar, daß sie in mir eine ebenbürtige Gabe stärken, sollte ich als Vertreter der Menschheit ihren Vorstellungen entsprechen? Mir scheint, das wäre nur gerecht. Wenn dem so ist, ist dann nicht anzunehmen, daß ihre Gabe wie sie selbst die Zeit transzendental überschreitet? Die Hierodulen, denen ich auf Baldanders’ Burg begegnete, sagten, sie seien an mir interessiert, weil ich den Thron besteigen würde – aber wäre ihr Interesse so groß gewesen, wäre ich nur der streitbare Herrscher über einen Teil dieses Kontinents, einer von vielen streitbaren Herrschern in der langen Geschichte der Urth?
    Im großen ganzen halte ich die erste Erklärung für wahrscheinlicher; allerdings ist die zweite nicht ganz auszuschließen. Jede davon scheint anzudeuten, daß die Mission, auf die ich mich begeben werde, von Erfolg gekrönt sein wird. Ich werde guten Mutes ziehn.
    Und dennoch gibt es eine dritte Erklärung. Kein Mensch oder menschenähnliches Geschöpf kann das Sinnen und Trachten von Abaia, Erebus und den übrigen erfassen. Ihre Macht übersteigt das Verstehen, und ich weiß jetzt, daß sie uns an einem Tag zermalmen könnten, wäre da nicht der Umstand im Spiel, daß für sie nur Versklavung, nicht Auslöschung als Sieg zählt. Die große Undine, die ich gesehen habe, ist ihre Kreatur und weniger als ihre Sklavin: ihr Spielzeug. Es ist möglich, daß die Macht der Klaue, der Klaue von jenem Gewächs, das so dicht an ihrem Meer gedeiht, letztendlich von ihnen stammt. Wie Ossipago, Barbatus und Famulimus haben sie mein Schicksal gekannt, und sie haben mich, damit ich es erfüllen könnte, als Knabe gerettet. Nach meinem Aufbruch von der Zitadelle haben sie mich abermals gefunden, woraufhin meine Wege durch die Klaue wirr geworden sind. Vielleicht erhoffen sie sich einen Triumph, indem sie einen Folterer zum Autarchen erheben – oder in jene Position, welche die des Autarchen übersteigt.
    Nun ist es, denke ich, an der Zeit, daß ich niederlege, was Meister Malrubius mir erklärt hat. Ich kann mich nicht für die Richtigkeit verbürgen, glaube aber, daß es wahr ist. Ich weiß nicht mehr, als hier steht.
    Wie eine Blume blüht, ihren Samen abwirft, stirbt und wieder aus dem Samen hervorgeht, so breitet sich das Universum, das wir kennen, aus, um sich im grenzenlosen Raum zu verlieren, sammelt seine Splitter (die aufgrund der Krümmung des Raumes schließlich dort zusammentreffen, wo sie sich getrennt haben) und erblüht aus diesem Samen aufs neue. Jeder solche Kreislauf von Blüte und Verfall stellt ein göttliches Jahr dar.
    Wie die hervorgehende Blume derjenigen gleicht, aus der sie hervorgegangen ist, so ist das kommende Universum eine Nachbildung von dem, aus dessen Ruinen es entstanden ist; und dies gilt sowohl für seine Feinheiten als auch für seine groben Züge: Die Welten, die kommen, gleichen den vergangenen Welten und werden von ähnlichen Rassen bewohnt, obschon alles wie bei der Blume, die sich von Sommer zu Sommer entwickelt, in winzigen Schritten

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