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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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was seine Miene sonst noch ausdrückte, dessen war ich mir nicht sicher. »Die Verfasser der genehmigten Texte«, erklärte ich ihm, »können beim Schreiben nicht aus genehmigten Texten zitieren. Also kann selbst ein genehmigter Text kritische Elemente enthalten.«
    »Rechter Geist ist Volksgeist. Das Volk kann dem Volk oder der Gruppe der Siebzehn nicht untreu werden.«
    Foila rief: »Keine Beleidigungen gegen das Volk oder die Gruppe der Siebzehn. Sonst bringt er sich vielleicht um. Das tun sie manchmal.«
    »Wird er je normal?«
    »Ich habe gehört, manche beginnen schließlich zu reden, wie wir reden, wenn du das meinst.«
    Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte, und es kam Schweigen auf. Wie ich festgestellt habe, herrscht an einem solchen Ort, wo fast nur Kranke sind, oft langes Schweigen. Wir wußten, daß wir Wache um Wache Zeit hatten; was am Nachmittag ungesagt blieb, könnte am Abend oder am nächsten Morgen zur Sprache gebracht werden. Jeder, der geredet hätte, wie ein Gesunder – zum Beispiel nach dem Essen – normalerweise spricht, wäre unerträglich gewesen.
    Aber was gesagt worden war, hatte meine Gedanken auf den Norden gelenkt, worüber ich, wie ich feststellte, so gut wie nichts wußte. Als ich noch ein Knabe war und Böden schrubbte und Botengänge in der Zitadelle erledigte, war mir der Krieg nahezu endlos fern vorgekommen. Ich wußte, die meisten Kanoniere, mit denen die Hauptgeschütze besetzt waren, hatten daran teilgenommen, aber ich wußte darum, wie ich auch darum wußte, daß das Sonnenlicht, das auf meine Hand fiel, von der Sonne stammte. Ich würde ein Folterer, und als Folterer hätte ich keinen Grund, dem Heer beizutreten, und bräuchte nicht zu fürchten, zum Kriegsdienst gepreßt zu werden. Ich rechnete nicht damit, den Krieg je an den Toren von Nessus zu sehen (die eigentlich selbst bloß Legende für mich waren), und ich rechnete erst recht nicht damit, daß ich je die Stadt oder auch nur das Viertel, das die Zitadelle birgt, verließe.
    Das nördliche Ascien war also unvorstellbar weit entfernt, ferner als die fernste Galaxis, denn sowohl das eine als auch das andere wären für mich immer unerreichbar. In meiner Vorstellung verwechselte ich es mit dem sterbenden Gürtel tropischer Vegetation, der zwischen unserem Land und dem ihrigen lag, obgleich ich die beiden mühelos hätte unterscheiden können, hätte mich Meister Palaemon im Unterricht danach gefragt.
    Aber von Ascien selbst hatte ich keine Ahnung. Ich wußte nicht, ob es große Städte besaß. Ich wußte nicht, ob es gebirgig war wie der Norden und Osten unserer Republik, oder flach wie unsere Pampas. Irgendwie hatte ich die (keineswegs begründete) Idee, es sei ein zusammenhängendes Land, keine Inselkette wie unser Süden; insbesondere hatte ich den Eindruck, es sei von unzähligen Menschen – dem »Volk« unseres Asciers – bevölkert, einer unerschöpflichen Menschenschar, die gleich einem Ameisenstaat einen neuen Organismus bildete. Ein Volk aus Abermillionen Stummen, die nur sprichwörtliche Phrasen nachplappern durften, welche gewiß längst ihren Sinn mehr oder weniger eingebüßt hatten, so etwas überstieg meine kühnsten Phantasien. Wie im Selbstgespräch meinte ich: »Sicherlich ist’s ein Trick, ’ne Lüge oder ein Irrtum. So eine Nation kann’s nicht geben.«
    Und der Ascier, nicht lauter als ich und vielleicht sogar sanfter sprechend, erwiderte: »Wie ist der Staat am stärksten? Er ist am stärksten, wenn es keine Konflikte gibt. Wann gibt es keine Konflikte? Wenn es keine Unstimmigkeiten gibt. Wie beseitigt man Unstimmigkeiten? Indem man die vier Ursachen für Unstimmigkeiten beseitigt: Lügen, törichte Reden, prahlerische Reden und aufrührerische Reden.
    Wie beseitigt man die vier Ursachen? Indem man nur im Rechten Geist spricht. Dann gibt’s im Staat keine Unstimmigkeiten. Ohne Unstimmigkeiten gibt’s keine Konflikte. Ohne Konflikte ist er kraftvoll, stark und sicher.« Nun hatte ich meine Antwort.
     

 
Miles, Foila, Melito und Hallvard
     
    An diesem Abend übermannte mich jene Furcht, die ich mir seit einiger Zeit vom Leibe gehalten hatte. Obgleich von Hethors Ungetümen, die er von den Sternen mitgebracht hatte, jede Spur fehlte, seitdem der kleine Severian und ich aus dem Dorf der Zauberer geflohen waren, hatte ich nicht vergessen, daß er mir auf den Fersen war. Während ich in der Wildnis oder am See Diuturna unterwegs war, hatte ich keine Angst, daß er mich einholte. Nun

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