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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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versetzte der Schwarzhaarige. »Das hab’ ich gemeint.«
    »Wußte gar nicht, daß sie unsere Sprache sprechen.«
    »Tun sie nicht. Ein paar Offiziere, die ihn zur Vernehmung aufsuchten, sagten, er sei Dolmetscher. Vermutlich verhörte er unsere Soldaten, wenn sie in ihre Hände fielen. Dann ließ er sich wohl was zuschulden kommen und mußte zurück an die Front.«
    Die junge Dame sagte: »Ich halte ihn nicht für echt irre. Die meisten von ihnen sind’s. Wie heißt du?«
    »Verzeihung, ich hätt’ mich vorstellen sollen. Ich bin Severian.« Fast hätte ich schon hinzugefügt, ich sei Liktor, wußte aber, daß sie nicht mehr mit mir sprächen, wenn sie das wüßten.
    »Ich bin Foila, und das ist Melito. Ich hab’ zu den Blauen Husaren gehört, er ist ein Hoplit.«
    »Laß diesen Unsinn!« knurrte Melito. »Ich bin der Hoplit. Du bist ein Husar.«
    Meiner Meinung nach schien er dem Tode viel näher als sie.
    »Ich hoffe nur, wir werden entlassen, sobald wir gesund sind und aufstehen können«, sagte Foila.
    »Und was wollen wir dann tun? Jemandes Kuh melken und seine Schweine hüten?« Melito wandte sich an mich. »Laß dich von ihrem Gerede nicht täuschen – wir sind beide Freiwillige. Ich stand gerade vor der Beförderung, als ich verwundet wurde. Wenn ich befördert bin, dann kann ich eine Frau ernähren.«
    Foila rief: »Ich hab’ dir nicht die Ehe versprochen!«
    Einige Betten entfernt meinte jemand laut: »Nimm sie, damit sie endlich den Mund hält!«
    Daraufhin setzte sich der Patient im Bett hinter Foila auf. »Mich heiratet sie.« Er war ein großer, hellhäutiger, blondhaariger Mann, der so bedächtig sprach, wie es den Menschen der kalten Inseln des Südens zu eigen ist. »Ich bin Hallvard.«
    Zu meiner Überraschung bemerkte der gefangene Ascier: »Vereint sind Mann und Frau stärker; aber eine brave Frau will Kinder, keine Männer.«
    Foila sagte: »Sie kämpfen, selbst wenn sie schwanger sind – ich hab’ sie tot auf dem Schlachtfeld liegen sehn.«
    »Die Wurzeln des Baumes sind das Volk. Die Blätter fallen ab, aber der Baum bleibt.«
    Ich fragte Melito und Foila, ob der Ascier seine Bemerkungen selbst ersinne oder aus einem mir unbekannten Werk zitiere.
    »Ob er sie sich ausdenkt?« meinte Foila. »Nein. Das tun sie nie. Alles, was sie sagen, muß einer genehmigten Quelle entstammen. Manchmal reden sie überhaupt nicht, meistens aber haben sie Tausende – vermutlich sogar Zehn- und Hunderttausende – solcher Sprüche auswendig gelernt.«
    »Unmöglich«, zweifelte ich.
    Melito zuckte die Achseln. Mühsam hatte er sich auf einen Ellbogen gestützt. »Das tun sie aber. Zumindest hört man das überall. Foila weiß mehr über sie als ich.«
    Foila nickte. »In der leichten Kavallerie werden viele Spähtrupps geritten. Manchmal wurden wir speziell ausgesandt, um Gefangene zu machen. Man erfährt zwar nichts, wenn man mit ihnen spricht, dennoch ist für den Generalstab ihre Ausrüstung und ihre körperliche Verfassung sehr aufschlußreich. Auf dem nördlichen Kontinent, woher sie kommen, reden nur die Kleinkinder so wie wir.«
    Ich dachte daran, wie Meister Gurloes die Geschäfte unserer Zunft führte. »Wie können sie dann etwas sagen wie: ›Nimm drei Lehrlinge und entlade diesen Wagen.‹?«
    »Sie sagen das nicht – packen drei Leute an der Schulter, deuten auf den Wagen und stupsen sie. Wenn sie sich dann ans Werk machen, prima. Wenn nicht, zitiert der Anführer einen Spruch über die Notwendigkeit von Arbeit zur Gewährleistung des Sieges – und das vor Zeugen. Will der Angesprochene nun noch nicht arbeiten, läßt er ihn töten – vermutlich einfach, indem er auf ihn zeigt und zitiert, wie notwendig es sei, Feinde des Volkes zu beseitigen.«
    Der Ascier sagte: »Kindergeschrei ist Siegesgeschrei. Sieg indes muß Weisheit lernen.«
    Foila deutete das für ihn. »Das heißt, obwohl Kinder erforderlich sind, ist das, was sie sagen, unbedeutend. Die meisten Ascier würden uns für stumm halten, selbst wenn wir ihre Sprache lernten, denn alles, was nicht genehmigter Wortlaut ist, ist für sie bedeutungslos. Würden sie – wenn auch nur sich selbst gegenüber – eingestehen, daß solches Gerede etwas bedeutete, so wäre es ihnen möglich, kritische Bemerkungen zu hören und auch zu äußern. Das wäre äußerst gefährlich. Solange sie nur genehmigten Text verstehen und zitieren, kann niemand anklagen.«
    Ich kehrte mich dem Ascier zu. Er hatte offensichtlich aufmerksam zugehört, aber

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