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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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nie.«
    »Und?«
    »Mir scheint, du bist auch so.«
    »Ich verstehe nicht«, meinte ich.
    »Du redest, als wärst du soeben aus dem Süden angereist, was natürlich am klügsten ist, wenn man von seiner Legion getürmt ist. Wie dem auch sei, jeder kann sehn, daß es nicht stimmt – man bekommt solche Schrammen, wie du sie hast, nur auf dem Schlachtfeld. Du bist von einem Steinhagel getroffen worden. Das ist’s gewesen, was die Pelerine, die uns in der Nacht unserer Ankunft aufgenommen hat, auch sofort bemerkt hat. Ich glaube also, du bist schon länger hier im Norden, als du eingestehst, und vielleicht sogar länger, als du selber glaubst. Wenn du viele Leute getötet hast, ist’s für dich vielleicht eine Erleichterung zu glauben, du könntest sie wieder lebendig machen.«
    Ich versuchte zu grinsen. »Was würde das für dich bedeuten?«
    »Nichts. Ich will nicht sagen, ich hätte dir nichts zu verdanken. Ich hatte Fieber und wurde von dir gefunden. Vielleicht lag ich schon im Delirium. Höchstwahrscheinlich war ich nur ohnmächtig, was dich glauben ließ, ich wäre tot. Wenn du mich nicht hierher gebracht hättest, wär’ ich vermutlich gestorben.«
    Er wollte sich erheben. Ich hielt ihn mit der Hand zurück. »Es gibt ein paar Dinge, die ich dir sagen sollte«, eröffnete ich ihm. »Über dich.«
    »Du sagtest, du wissest nicht, wer ich sei.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das sagte ich eigentlich nicht. Ich sagte, ich habe dich vor zwei Tagen in einem Wald gefunden. In dem Sinn, wie du’s verstehst, weiß ich wirklich nicht, wer du bist – in einem anderen Sinne vielleicht doch. Ich glaube, du bist zwei Menschen, wovon ich einen kenne.«
    »Niemand ist zwei Menschen.«
    »Doch. Ich. Ich bin bereits zwei Menschen. Vielleicht sind mehr zwei, als wir glauben möchten. Was ich dir allerdings zuerst sagen möchte, ist ganz einfach. Hör zu!« Ich erklärte ihm genau, wie er wieder zum Wald käme, und sagte, nachdem ich mir sicher war, daß er den Weg verstanden hatte: »Dort liegt bestimmt noch dein Ranzen mit den durchtrennten Gurten, so daß du die Stelle also kaum verwechseln kannst. Es war ein Brief in deinem Ranzen. Ich nahm ihn raus und las ihn zur Hälfte oder so. Der Empfänger war nicht namentlich bezeichnet, aber falls du ihn beendet und nur auf eine Gelegenheit zum Abschicken gewartet hattest, sollte am Ende zumindest ein Teil deines Namens stehen. Ich legte den Brief auf den Boden, und er flatterte davon und verfing sich an einem Baum. Vielleicht findest du ihn noch.«
    Er machte ein verkniffenes Gesicht. »Du hättest ihn nicht lesen und du hättest ihn nicht wegwerfen sollen.«
    »Wohlgemerkt hielt ich dich für tot. Es tat sich damals allerhand – hauptsächlich in mir drin. Vielleicht die ersten Anzeichen des Fiebers – ich weiß es nicht. Und nun zum nächsten Punkt. Du wirst mir nicht glauben, aber ’s ist wichtig, daß du’s hörst. Darf ich?«
    Er nickte.
    »Gut. Hast du schon von den Spiegeln des Vater Inire gehört? Weißt du, wie sie funktionieren?«
    »Ich habe von Vater Inires Spiegeln gehört, weiß aber nicht mehr, wo. Angeblich kann man zwischen sie treten wie in eine Tür und findet sich beim Heraustreten auf einem Stern wieder. Ich glaube nicht, daß es so etwas gibt.«
    »Es gibt sie, die Spiegel. Ich hab’ sie gesehn. Bis jetzt habe ich sie mir ähnlich wie du vorgestellt – als ob sie eine Art Schiff wären, aber ungleich schneller. Nun bin ich mir längst nicht mehr so sicher. Jedenfalls trat ein gewisser Freund von mir zwischen diese Spiegel und verschwand. Ich beobachtete ihn. Es war weder eine Täuschung noch Aberglaube; er ging, weil er eine gewisse Dame liebte und weil er kein ganzer Mann war. Verstehst du?«
    »Hatte er einen Unfall?«
    »Bei einem Unfall hat’s ihn erwischt, aber das spielt jetzt keine Rolle. Er sagte mir, er komme zurück. Er sagte: ›Ich werde zurückkehren zu ihr, wenn ich repariert bin, wenn ich wieder heil und ganz bin.‹ Ich war mir nicht sicher gewesen, wie ich das verstehen sollte, als er dies sagte, nun aber glaube ich, daß er wieder da ist. Ich war derjenige, der ihn wiederbelebte, und ich war derjenige, der auf seine Rückkehr hoffte – vielleicht hatte das was damit zu tun.«
    Es herrschte Schweigen. Der Soldat blickte nieder auf die zertrampelte Erde, worauf die Feldbetten aufgestellt waren, und dann wieder zu mir. »Immer wenn man seinen Freund verliert und einen anderen bekommt, glaubt man, der alte Freund sei wieder bei

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