Die Zitadelle des Autarchen
als Typhon mich an diese Stelle gebracht hatte: Die Welt entrollte sich vor mir wie ein Teppich und wurde in ihrer Gesamtheit sichtbar. Diesmal war sie viel prächtiger. Die Sonne stand hinter uns; ihre Strahlen schienen offenbar um ein Vielfaches stärker. Schatten waren zu Gold geläutert, und alles Grün wurde dunkler und stärker vor meinen Augen. Ich sah das Korn auf den Feldern reifen und sogar die unzähligen Fische des Meeres zu doppelter und dreifacher Größe heranwachsen mit der Vermehrung der winzigen, an der Oberfläche treibenden Pflanzen, die ihnen als Nahrung dienten. Wasser vom Raum hinter uns strömte aus dem Auge und ergoß sich, das Licht brechend, als Regenbogen.
Sodann erwachte ich.
Während ich schlief, hatte mich jemand in Tücher gehüllt und mit Schnee eingepackt. (Wie ich später erfuhr, war er mit trittsicheren Saumtieren von den Gipfeln herangeschafft worden.) Zitternd und schaudernd wünschte ich mir, zu meinem Traum zurückzukehren, obgleich ich ahnte, welch gewaltige Entfernung uns nun trennte. Ich hatte bitteren Arzneigeschmack im Mund. Das Spannleinen der Pritsche fühlte sich hart an wie der Boden unter mir. Die scharlachgewandeten Pelerinen huschten hin und her und versorgten die Männer und Frauen, die im Dunkeln ächzten.
Das Lazarett
Ich glaube nicht, daß ich in jener Nacht noch einmal eingeschlafen bin, obwohl ich vielleicht gedöst habe. Als der Morgen graute, war der Schnee geschmolzen. Zwei Pelerinen schälten mich aus den Decken, reichten mir ein Handtuch zum Abtrocknen und brachten trockenes Bettzeug. Ich wollte ihnen auf der Stelle die Klaue geben – meine Habseligkeiten befanden sich im Beutel unter meinem Feldbett –, aber der Moment schien ungeeignet. Vielmehr legte ich mich also nieder und fiel nun, da hellichter Tag war, in tiefen Schlaf.
Ich erwachte gegen Mittag. Im Lazarett war es jetzt besonders still; irgendwo weit entfernt redeten zwei Männer, und ein dritter schrie auf, aber diese Laute verdeutlichten nur die Stille. Ich setzte mich auf und blickte mich nach dem Soldaten um. Rechts von mir lag ein Mann, den ich aufgrund seines kahlgeschorenen Schädels zuerst für einen Sklaven der Pelerinen hielt. Ich rief ihm zu, aber als er mir das Gesicht zuwandte, erkannte ich, daß ich mich getäuscht hatte.
Sein Blick war so leer, wie ich’s noch nie bei einem Menschen gesehen hatte, und er schien für mich unsichtbare Geister zu schauen. »Ehre der Gruppe der Siebzehn«, sagte er.
»Guten Morgen. Weißt du in etwa, wie’s hier abläuft?«
Ein Schatten huschte anscheinend über sein Gesicht, und ich spürte, daß meine Frage ihn irgendwie argwöhnisch gemacht hatte. Er antwortete: »Alles verläuft gut oder schlecht genau in dem Maße, wie es dem Rechten Geist entspricht.«
»Ein zweiter Mann wurde mit mir eingeliefert. Ich möcht’ ihn sprechen. Er ist gewissermaßen ein Freund von mir.«
»Jene, die den Willen des Volkes tun, sind Freunde, auch wenn wir noch nicht mit ihnen gesprochen haben. Jene, die nicht den Willen des Volkes tun, sind Feinde, auch wenn wir als Kinder gemeinsam die Schulbank gedrückt haben.«
Der Mann zu meiner Linken rief: »Aus ihm wirst du nichts rausbekommen. Er ist ein Gefangener.«
Ich wandte mich ihm zu. Sein Gesicht, wenngleich fast zum bloßen Schädel verödet, hatte einen humorvollen Zug behalten. Sein borstiges schwarzes Haar erweckte den Eindruck, als hätte es seit Monaten keinen Kamm mehr gesehen.
»Er redet immer so. Nur so. He du! Gleich gibt’s Prügel!«
Der andere erwiderte: »Für die Armeen des Volkes ist die Niederlage das Sprungbrett zum Sieg und der Sieg die Leiter zu weiteren Siegen.«
»Obwohl man ihn viel besser versteht als die meisten von ihnen«, bemerkte der Mann zu meiner Linken.
»Du sagst, er ist ein Gefangener. Was hat er getan?«
»Getan? Nun, er ist nicht gestorben.«
»Das versteh’ ich leider nicht. War er für eine Art Selbstmordkommando ausgewählt?«
Der Patient hinter dem Mann zu meiner Linken setzte sich auf – eine junge Dame mit schmalem, aber hübschem Gesicht. »Das sind sie alle«, erklärte sie. »Zumindest können sie nicht heimkehren, ehe der Krieg gewonnen ist, und sie wissen ganz genau, daß er nie zu gewinnen ist.«
»Äußere Zwiste sind schon gewonnen, wenn innere Zwiste im Rechten Geist gelöst werden.«
Ich sagte: »Er ist also ein Ascier. Das hast du gemeint. Ist der erste, den ich zu Gesicht bekomme.«
»Die meisten von ihnen sterben«,
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