Die Zitadelle des Autarchen
daheim sei.
»Wenn man bei den Pelerinen ist, so ist man dort daheim – wo immer die Zelte aufgeschlagen werden. Der Orden ist deine Familie und stellt zugleich deine Freundinnen, als wären deine Freundinnen auch deine Schwestern geworden. Aber bevor ich in den Orden ging, hatte ich im äußeren nordwestlichen Viertel mit Blick zur Mauer gewohnt.«
»In der Nähe vom Blutacker?«
»Ja, ganz in der Nähe. Kennst du ihn?«
»Ich hab’ dort einmal gekämpft.«
Sie machte große Augen. »Wirklich? Wir sind immer zum Zuschauen hingegangen. Das durften wir zwar nicht, taten’s aber trotzdem. Hast du gewonnen?«
Das hatte ich mir nie überlegt, also mußte ich eine Weile nachdenken. »Nein«, antwortete ich dann, »ich hab’ verloren.«
»Aber du hast’s überlebt. Sicherlich ist es besser, zu verlieren und mit dem Leben davonzukommen, als einem anderen das Leben zu nehmen.«
Ich öffnete das Hemd und zeigte ihr die Narbe, die Agilus’ Avernenblatt auf meiner Brust hinterlassen hatte.
»Du hast Glück gehabt. Es werden uns oft Soldaten gebracht, die solche Brustverletzungen haben, aber wir können sie nur selten durchbringen.« Zögernd berührte sie meine Brust. Es war etwas Liebliches in ihrem Gesicht, das ich bei keinen anderen Frauen gesehen hatte. Sie strich flüchtig über meine Haut und zog dann jäh die Hand zurück. »Wird nicht sehr tief gewesen sein.«
»War sie nicht«, räumte ich ein.
»Einmal beobachtete ich einen Kampf zwischen einem Offizier und einem verkleideten Beglückten. Sie verwendeten giftige Pflanzen als Waffe – vermutlich weil der Offizier im Vorteil gewesen wäre, hätten sie sich mit dem Degen geschlagen. Der Beglückte kam ums Leben, und ich ging, aber anschließend gab’s einen Riesentumult, weil der Offizier Amok lief. Er rannte dicht an mir vorbei und schlug mit seiner Pflanze um sich, aber jemand warf ihm einen Knüttel zwischen die Beine, so daß er stürzte. Ich glaube, das ist der spannendste Kampf gewesen, den ich je verfolgt habe.«
»Kämpften sie tapfer?«
»Eigentlich nicht. Es wurde viel über Förmlichkeiten gestritten – du weißt ja, wie Menschen sind, wenn sie nicht anfangen wollen.«
»›Man wird mich bis zum Ende meiner Tage rühmen, einer solchen Herausforderung für würdig erachtet worden zu sein, wie kein anderer Vogel sie je erhalten hat. Es geschieht mit dem allergrößten Bedauern, wenn ich dir sage, daß ich nicht annehmen kann, aus drei Gründen nämlich, wovon der erste ist, daß du zwar Federn an den Flügeln hast, wie du sagst, ich aber nicht gegen deine Flügel, sondern gegen Kopf und Brust kämpfe.‹ Kennst du diese Geschichte?«
Lächelnd schüttelte sie den Kopf.
»Sie ist gut. Ich werd’ sie dir mal erzählen. Wenn du so nahe beim Blutacker gewohnt hast, mußt du aus einer bedeutsamen Familie stammen. Bist du eine Waffenträgerin?«
»Praktisch alle von uns sind Waffenträgerinnen oder Beglückte. Es ist ein recht aristokratischer Orden, muß man sagen. Ab und zu wird die Tochter eines Optimaten wie ich aufgenommen, wenn der Optimat ein alter, treuer Freund des Ordens ist, aber es gibt nur drei von uns. Wie ich erfahren habe, glauben manche Optimaten, sie brauchten den Orden nur reich zu beschenken, und schon würden ihre Töchter aufgenommen, was natürlich nicht stimmt – man muß schon auf allerlei Weise geholfen haben, nicht nur mit Geld, und das über lange Zeit. Die Welt, weißt du, ist gar nicht so korrupt, wie man glauben möchte.«
Ich fragte: »Hältst du es für richtig, daß man den Orden so beschränkt? Ihr dient dem Schlichter. Fragte er die Menschen, die er von den Toten erweckte, ob sie Waffenträger oder Beglückte seien?«
Sie lächelte abermals. »Das ist eine Frage, die im Orden schon oft debattiert worden ist. Aber es gibt andere Orden, die für Optimaten und auch Vertreter niederer Klassen durchaus offen sind. Indem wir bleiben, wie wir sind, erhalten wir viele Gelder zur Unterstützung unseres Werkes und haben allerhand Einfluß. Nährten und pflegten wir nur bestimmte Klassen von Menschen, würd’ ich sagen, du habest recht. Aber das tun wir nicht; wir helfen sogar Tieren, wenn wir können. Conexa Epicharis sagte immer, wir hörten bei Insekten auf, aber dann ertappte sie eine von uns – eine Novizin wohl – beim Richten eines Schmetterlingsflügels.«
»Stört es dich nicht, daß diese Soldaten eifrig Ascier getötet haben?«
Ihre Antwort lautete ganz anders, als ich erwartet hätte: »Ascier
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