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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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sind keine Menschen.«
    »Ich sagte schon, daß der Patient neben mir ein Ascier sei. Ihr kümmert euch um ihn ebenso, wie ihr euch um uns kümmert, soweit ich das mitbekommen habe.«
    »Und ich sagte schon, daß wir Tiere aufnehmen, wenn wir können. Weißt du denn nicht, daß Menschen ihre Menschlichkeit verlieren können?«
    »Du meinst die Zoanthropen. Ich hab’ welche gesehn.«
    »Die auf jeden Fall. Die geben ihre Menschlichkeit freiwillig auf. Aber es gibt auch andere, die sie einbüßen, ohne es zu wollen, während sie zumeist glauben, sie zu mehren oder einen höheren Zustand zu erklimmen als den angeborenen. Wieder andere, wie die Ascier, werden um ihre Menschlichkeit gebracht.«
    Ich dachte an Baldanders, wie er sich von seiner Burgmauer in den See Diuturna stürzte. »So ein … Ding verdient gewiß unser Mitleid.«
    »Auch Tiere verdienen unser Mitleid. Deshalb nehmen wir vom Orden uns ihrer an. Aber es ist kein Mord, wenn ein Mensch eins tötet.«
    Ich setzte mich auf und ergriff ihren Arm, wobei ich mich vor Aufregung kaum mehr beherrschen konnte. »Wäre es nicht denkbar, daß etwas – irgendein Arm des Schlichters, wollen wir sagen – zwar Menschen heilen, bei solchen aber, die nicht menschlich wären, versagen könnte?«
    »Du meinst die Klaue? Mach bitte den Mund zu! Du bringst mich zum Lachen, wenn du ihn so aufsperrst, und wir dürfen nicht lachen im Beisein von Menschen, die nicht zum Orden gehören.«
    »Du weißt es!«
    »Die Krankenschwester hat’s mir erzählt. Sie sagte, du seist irre, verrückt auf eine nette Art, würdest also wohl kaum jemandem ein Haar krümmen. Ich erkundigte mich genauer, und sie erzählte mir alles. Du hast die Klaue, und manchmal kannst du Kranke heilen und sogar Tote wiedererwecken.«
    »Hältst du mich auch für verrückt?«
    Lächelnd nickte sie.
    »Wieso? Was die Pelerine dir erzählt hat, sei dahingestellt. Habe ich denn heut’ abend irgend etwas gesagt, was dich dies glauben läßt?«
    »Oder, gewissermaßen, für verzaubert. Es hat überhaupt nichts damit zu tun, was du gesagt hast. Oder zumindest nicht recht viel. Aber du bist nicht nur ein Mensch.«
    Hierauf hielt sie inne und wartete wohl, daß ich es leugnen würde, aber ich antwortete nicht.
    »Es ist etwas in deinem Gesicht und daran, wie du dich bewegst – weißt du, daß ich nicht einmal deinen Namen kenne? Sie hat ihn mir nicht gesagt.«
    »Severian.«
    »Ich heiß’ Ava. Severian ist doch eines jener Namenspaare für Geschwister, nicht wahr? Severian und Severa. Hast du eine Schwester?«
    »Keine Ahnung. Wenn ja, ist’s eine Hexe.«
    Ava ging nicht darauf ein. »Die andere. Hat sie einen Namen?«
    »Du weißt also, daß es eine Frau ist?«
    »Ja. Als ich das Essen brachte, glaubte ich schon, eine der beglückten Schwestern sei gekommen, um mir zu helfen. Als ich mich umwandte, sah ich nur dich. Zuerst war’s anscheinend nur so, wenn ich dich aus den Augenwinkeln betrachtete. Aber seitdem du mir gegenübersitzt, habe ich manchmal den Eindruck, sie zu sehen, auch wenn ich dich direkt ansehe. Wenn du seitwärts blickst, verschwindest du manchmal, und es taucht eine große bleiche Frau auf, die dein Gesicht benutzt. Bitte sag jetzt nicht, ich habe zuviel gefastet! Das sagen sie immer, und es stimmt einfach nicht, aber selbst wenn’s stimmte, so wär’s nicht das.«
    »Sie heißt Thecla. Weißt du noch, was du gerade gesagt hast … vom Einbüßen der Menschlichkeit? Wolltest du die Sprache auf sie bringen?«
    Ava schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber ich wollte dich etwas anderes fragen. Es ist noch ein Patient wie du hier, der, wie ich höre, mit dir gekommen ist.«
    »Du meinst Miles. Nein, mein Fall und der seine sind grundverschieden. Ich möchte dir nichts über ihn sagen. Das soll er selber tun – oder auch nicht. Aber ich erzähl’ dir gern von mir. Hast du schon einmal von Leichenfressern gehört?«
    »Du bist kein solcher. Vor ein paar Wochen hatten wir drei rebellische Gefangene. Ich weiß, was das für welche sind.«
    »Wo ist der Unterschied?«
    »Zu ihnen …?« Sie suchte nach Worten. »Ihnen fehlt Beherrschung. Sie führen Selbstgespräche – was natürlich viele Menschen tun –, und sie sehen Dinge, die gar nicht da sind. Sie wirken irgendwie einsam und selbstsüchtig. Du bist kein solcher.«
    »Aber ja«, sagte ich und erzählte ihr, ohne auf Einzelheiten einzugehen, von Vodalus’ Bankett.
    »Du mußtest«, meinte sie zum Schluß. »Wenn du gezeigt hättest, was

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