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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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des Hahns wirbelten flinker als die Füße eines Tänzers durch die Luft, und mit dem Schnabel hackte er nach jenen großen runden Augen, wie der Specht den Baumstamm behämmert. Die Eule ließ die Henne los, flog aus dem Stall und wurde nie wieder gesehen.
    Sicherlich hatte der Hahn allen Grund, stolz zu sein, aber er wurde zu stolz. Weil er eine Eule im Dunkeln besiegt hatte, glaubte er, jeden Vogel besiegen zu können. Schon redete er davon, die Beute vor dem Falken zu retten und dem Teratornis, dem größten und furchtbarsten aller Greifvögel, das Leben schwer zu machen. Er wäre gut beraten gewesen, hätte er sich mit weisen Köpfen umgeben, insbesondere mit dem Lama und dem Schwein, bei denen die meisten Prinzen Rat und Hilfe bei ihren Geschäften suchen, so wäre seinem Dünkel freundlich, aber entschieden ein Ende gesetzt worden. Leider tat er dies nicht. Er hörte nur auf die Hennen, die allesamt in ihn vernarrt waren, und auf die Gänse und Enten, die der Meinung waren, als Stallnachbarn auch an seinem Ruhme teilzuhaben. Schließlich nahte der Tag, der für solche, die zu stolz sind, stets naht: er ging zu weit.
    Es geschah bei Morgengrauen, der gefährlichsten Zeit für solche, die nicht wohlauf sind. Der Hahn flog hoch und immer höher, bis er scheinbar den Himmel berührte, und gelangte im Apogäum seines Fluges auf die Spitze der Wetterfahne am höchsten Giebel des Stalles – der höchsten Spitze des ganzen Gehöfts. Als die Sonne mit rotgoldenen Peitschen die Schatten vertrieb, schrie er dort immer wieder, daß er König aller Gefiederten sei. Sieben Mal krähte er dies hinaus, und es wäre ihm wohl durchgegangen, hätte er sich damit begnügt, denn die Sieben ist eine Glückszahl. Aber er konnte sich nicht damit begnügen. Ein achtes Mal stieß er seinen prahlerischen Ruf aus, woraufhin er wieder zur Erde flatterte.
    Er war noch nicht zwischen seinen Hennen gelandet, als eine höchst wundersame Lichterscheinung hoch in den Lüften über dem Stall sichtbar wurde. Aberhundert Sonnenstrahlen schienen sich zu verknüpfen, wie ein Kätzchen Wolle zu einem Knäuel verwirrt, und sich zu verbinden, wie eine Frau in einem Backtrog Teig verknetet. Diesem Gebilde aus strahlendem Licht entwuchsen bald Beine, Arme, ein Haupt und schließlich Schwingen, und es stieg zum Hühnerhof hernieder. Es war ein Engel mit roten, blauen, grünen und goldenen Flügeln, und obgleich er nicht größer schien als der Hahn, erkannte dieser beim ersten Blick in seine Augen, daß er innerlich viel größer als er selbst war.
    ›Nun‹, verkündete der Engel, ›spricht die Stimme der Gerechtigkeit. Du behauptest, kein gefiedertes Lebewesen könne dir trotzen. Hier bin ich, eindeutig ein gefiedertes Lebewesen. Alle mächtigen Waffen der Heerscharen des Lichts habe ich zurückgelassen, und so wollen wir miteinander ringen, wir beide.‹
    Hierauf breitete der Hahn die Flügel aus und verbeugte sich so tief, daß sein fransiger Kamm über den Staub wischte. ›Man wird mich bis zum Ende meiner Tage rühmen, einer solchen Herausforderung für würdig erachtet worden zu sein‹, entgegnete er, ›wie kein anderer Vogel sie je erhalten hat. Es geschieht mit dem allergrößten Bedauern, wenn ich dir sage, daß ich nicht annehmen kann, aus drei Gründen nämlich, wovon der erste ist, daß du zwar Federn an den Flügeln hast, wie du sagst, ich aber nicht gegen deine Flügel, sondern gegen Kopf und Brust kämpfe. Du bist also, was diesen Wettkampf angeht, kein gefiedertes Lebewesen.‹
    Der Engel schloß die Augen und berührte mit den Händen seinen Leib, und – siehe da! – die Haare seines Hauptes hatten sich in Federn gewandelt, hell und glänzend wie das Federkleid des prächtigsten Kanarienvogels, und aus dem Leinen seines Umhangs waren Federn geworden, weißer als das Federkleid der makellosesten Taube.
    ›Der zweite Grund ist‹, fuhr der Hahn unverzagt fort, ›daß du, wie vorgeführt, die Gabe hast, dich zu verwandeln, dich somit also während des Kampfes in eine Kreatur verwandeln könntest, die kein Gefieder besitzt – in eine Riesenschlange zum Beispiel. Würde ich mit dir kämpfen, hätte ich keine Gewähr für einen gerechten Ablauf.‹
    Hierauf riß sich der Engel die Brust auf, offenbarte der versammelten Hühnerschar alle Eigenschaften darin und entnahm seine Gabe zur Verwandlung der Gestalt. Er reichte sie der fettesten Gans, die sie für die Dauer des Kampfes halten sollte, und die Gans verwandelte sich sofort in

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