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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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kannst durchaus schon ein Stück zu Fuß gehen. Willst du mich begleiten?«
    Solange ich mich unter dem dünnen Leinendach aufhielt, hielt ich dieses Zelt für das ganze Lazarett. Nun sah ich, wenn auch nur umrißhaft in der schwarzen Nacht, daß es nur eines inmitten von vielen war. Bei den meisten waren wie am unsrigen die Seitenwände zur Linderung der Hitze hochgezogen und gerefft wie die Segel eines vor Anker liegenden Schiffes. Wir betraten keines davon, sondern schritten auf verschlungenen Wegen, die mir recht lang vorkamen, zwischen ihnen hindurch, bis wir an eins gelangten, dessen Wände herabhingen. Es war aus Seide, nicht aus Leinen, und schimmerte scharlachrot aufgrund der Lichter darin.
    »Einst«, erklärte mir Ava, »besaßen wir eine große Kathedrale. Obwohl sie zehntausend Menschen faßte, ließ sie sich auf einen einzigen Wagen verladen. Unsere Domicella hat sie unmittelbar vor meinem Eintritt in den Orden niederbrennen lassen.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich hab’ sie gesehn.« Im seidenen Zelt knieten wir vor einem schlichten blumenbedeckten Altar nieder. Ava betete. Ich, der ich keine Gebete kannte, hielt wortlos Zwiesprache mit jemand, der bald in mir schien, bald, wie der Engel gesagt hatte, unendlich fern.
     

 
Die Geschichte des Dieners der Gruppe der Siebzehn:
Der Gerechte
     
    Am nächsten Morgen fragte ich Foila, nachdem wir gegessen hatten und alle wach waren, ob es ihr recht sei, wenn ich nun zwischen Melito und Hallvard entschiede. Sie schüttelte den Kopf, aber ehe sie etwas sagen konnte, hatte der Ascier verkündet: »Alle müssen ihren Teil beitragen im Dienste des Volkes. Der Ochs zieht den Pflug, und der Hund hütet die Schafe, aber die Katze fängt Mäuse in der Kornkammer. So können Männer, Frauen und selbst Kinder dem Volke dienen.«
    In Foilas Miene trat jenes blendende Lächeln. »Unser Freund will auch eine Geschichte erzählen.«
    »Was?« Ich glaubte schon, Melito wolle sich tatsächlich aufsetzen. »Du duldest es, daß er – einer von ihnen …«
    Mit einer Geste bedeutete sie ihm zu schweigen. »Aber ja!« Etwas ruckte an ihren Mundwinkeln. »Ja. Ich muß natürlich für euch übersetzen. Ist das in Ordnung, Severian?«
    »Wenn du willst«, versicherte ich.
    Hallvard knurrte: »Das gehörte nicht zu unserer ursprünglichen Abmachung. Ich erinnere mich an jedes Wort.«
    »Ich auch«, erwiderte Foila. »Aber ’s steht auch nicht im Widerspruch dazu und ist eigentlich ganz im Sinne der Abmachung, die lautet, daß die Bewerber um meine Hand – die weder sehr sanft noch, fürcht’ ich, sehr hübsch ist, obschon sie es allmählich wieder wird, seitdem ich hier eingesperrt bin – sich im Wettkampf messen. Der Ascier würde mir sicherlich den Hof machen, wenn er überzeugt wäre, er könnte es; habt ihr nicht gesehn, wie er mich anschaut?«
    Der Ascier rezitierte: »Vereint sind Mann und Frau stärker, aber eine brave Frau will Kinder, keine Männer.«
    »Er meint, er möchte mich heiraten, glaubt aber nicht, daß sein Werben Erfolg hätte. Was ein Irrtum ist.« Foila blickte von Melito zu Hallvard, und aus ihrem Lächeln war ein Grinsen geworden. »Habt ihr zwei wirklich so große Angst vor ihm in einem Erzählwettbewerb? Ihr müßt wie die Hasen gerannt sein, wenn ihr einen Ascier auf dem Schlachtfeld gesehen habt.«
    Keiner von beiden gab eine Antwort, und nach einer Weile begann der Ascier: »Dereinst dienten alle treu dem Geschick des Volkes. Der Wille der Gruppe der Siebzehn war jedermanns Wille.«
    Foila übersetzte: »Es war einmal …«
    »Keiner sei faul. Ist einer faul, binde man ihn mit anderen zusammen, die ebenfalls faul sind, und schicke sie auf die Suche nach brachem Land. Jeder, dem sie begegnen, soll ihnen den Weg weisen. Denn es ist besser, tausend Meilen zu wandern als im Haus des Hungers zu sitzen.«
    »… ein abgelegenes Gehöft, das gemeinsam von Bauern, die nicht miteinander verwandt waren, bewirtschaftet wurde.«
    »Der eine ist stark, der andere schön, der dritte ein geschickter Feuerwerker. Wer ist der Beste? Derjenige, der dem Volke dient.«
    »Es lebte in diesem Gehöft ein guter Mann.«
    »Es soll die Arbeit ein weiser Arbeitsteiler teilen. Es soll die Speise ein weiser Speisenteiler teilen. Es sollen die Schweine fett werden. Es sollen die Ratten Hunger leiden.«
    »Die anderen betrogen ihn um seinen Anteil.«
    »Diejenigen, die zu Gericht sitzen, mögen urteilen, aber keiner soll mehr als hundert Schläge erhalten.«
    »Er

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