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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Weg«, erklärte ich ihm. »Hier wurden Verwundete transportiert.«

 
Fieber
     
    Ich kann nicht sagen, wie weit wir gegangen sind oder wie weit die Nacht schon fortgeschritten gewesen ist, als wir unser Ziel erreicht haben. Ich weiß noch, daß ich zu taumeln angefangen habe, als wir von der Hauptstraße abgebogen sind – es ist fast wie ein Gebrechen gewesen. Wie ein Kranker nicht zu husten aufhören kann und einem anderen dauernd die Hände zittern, so stolperte ich in einem fort. Wenn ich an nichts anderes dachte, blieb die linke Stiefelspitze am rechten Absatz hängen, und ich konnte mich nicht sammeln; meine Gedanken machten sich mit jedem Schritt, den ich ging, auf und davon.
    Glühwürmchen leuchteten in den Bäumen zu beiden Seiten des Weges, und eine lange Zeit glaubte ich, die Lichter vor uns seien auch nur solche Insekten, und ging keinen Schritt schneller. Dann standen wir mit einemmal, wie mir schien, unter einem düsteren Dach, wo Männer und Frauen mit gelben Laternen durch die langen Reihen von Feldbetten huschten. Eine Frau in anscheinend schwarzer Kleidung nahm sich unser an und führte uns an einen anderen Ort, wo Stühle aus Leder und Gehörn standen und in einer Kohlenpfanne ein Feuer brannte. Dort sah ich, daß ihr Gewand scharlachrot war und sie eine scharlachrote Kapuze trug, und glaubte im ersten Moment, sie sei Cyriaca.
    »Dein Freund ist sehr krank, nicht wahr?« sagte sie. »Weißt du, was mit ihm ist?« Und der Soldat schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein. Ich weiß nicht einmal, wer er ist.«
    Ich war sprachlos. Sie nahm meine Hand, ließ sie wieder los und befühlte die des Soldaten. »Er hat Fieber. Du auch. Jetzt in der Sommerhitze gibt’s täglich mehr Kranke. Ihr hättet euer Wasser abkochen und euch die Läuse so gut wie möglich vom Leib halten müssen.«
    Sie wandte sich an mich. »Du hast recht viele Hautabschürfungen, und ein paar sind auch entzündet. Steinsplitter?«
    »Ich bin doch nicht der Kranke«, brachte ich heraus. »Meinen Freund hier hab’ ich euch gebracht.«
    »Ihr seid beide krank und habt euch wohl gegenseitig gebracht. Ohne den andern hätt’s bestimmt keiner von euch bis zu uns geschafft. Waren es Steinsplitter? Eine feindliche Waffe?«
    »Steinsplitter, ja. Von der Waffe eines Freundes.«
    »Das ist am schlimmsten, hab’ ich mir sagen lassen – von den Seinen beschossen zu werden. Aber das Fieber ist die Hauptsorge.« Sie zögerte, wobei sie vom Soldaten zu mir und wieder zurück blickte. »Ich möcht’ euch zwei gleich ins Bett stecken, aber zuvor müßt ihr ins Bad.«
    Sie klatschte in die Hände, und es erschien ein stämmiger Mann mit kahlgeschorenem Schädel. Er nahm uns am Arm und führte uns fort, hielt dann aber inne, hob mich hoch und trug mich, wie ich einst den kleinen Severian getragen hatte. Bald waren wir ausgezogen und saßen in einer warmen Wanne, die mit heißen Steinen gewärmt wurde. Der stämmige Mann schüttete Wasser über uns und ließ uns dann nacheinander aus dem Bad steigen, wobei er einem jeden mit einer Schere die Haare schnitt. Dann ließ man uns zum Aufweichen eine Weile nackt stehen.
    »Du kannst jetzt sprechen«, sagte ich zum Soldaten.
    Ich sah ihn im Lampenlicht nicken.
    »Warum nicht auf dem Weg hierher?«
    Er zögerte und zuckte leicht die Achseln. »Ich hab’ viel überlegt, und du hast selber nichts gesagt. Hast so erschöpft gewirkt. Einmal hab’ ich dich gefragt, ob wir nicht Rast machen sollten, aber du hast nicht geantwortet.«
    Ich entgegnete: »Mir kam’s anders vor, aber vielleicht haben wir beide recht. Weißt du noch, was mit dir passiert ist, bevor du mir begegnet bist?«
    Wieder trat eine Pause ein. »Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wie wir uns begegnet sind. Wir gingen über einen dunklen Pfad, und du warst neben mir.«
    »Und davor?«
    »Weiß ich nicht. Musik vielleicht, ein langer Weg. Zuerst im Sonnenschein, aber später durch die Dunkelheit.«
    »Diesen Weg sind wir gemeinsam gegangen«, erklärte ich. »Kannst du dich an sonst nichts mehr erinnern?«
    »Durch die Dunkelheit fliegen. Ja. Ich war bei dir, und wir kamen an einen Ort, wo die Sonne unmittelbar über unseren Köpfen stand. Es war ein Licht vor uns, aber als ich in es hineintrat, wurde es irgendwie dunkel.«
    Ich nickte. »Du warst nicht ganz bei klarem Verstand, weißt du. An einem warmen Tag kann man leicht meinen, die Sonne sei unmittelbar über einem, und wenn sie hinter den Bergen untergegangen ist, hat man den

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