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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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und aß dann gemeinsam mit ihr. Zählten die gemeinsamen Mahlzeiten zu Beginn ihrer Ehe noch zu den Höhepunkten des Tages, so waren sie heute eine Art Geduldsprobe für ihn geworden. Mit ihrer Krankheit schien Barbara jede Art von Benehmen verloren zu haben. Von Woche zu Woche fiel es ihm schwerer, neben ihr zu essen, zuzuschauen, wie sie, einer Wilden gleich, das Essen vom Teller in ihren Mund schaufelte, als wolle es ihr jemand im nächsten Augenblick wieder abnehmen. Dabei schmatzte sie lauter als die zahnlosen, russischen Weiber, die an warmen Sommertagen vor ihren HüttenSonnenblumenkerne kauten und die Schalen ausspuckten. An manchen Tagen war es so schlimm, daß Leonard sich selbst regelrecht zum Essen zwingen mußte.
    Unbewußt wanderten seine Gedanken zurück in die Heimat. Wie es wohl Michael und seiner Familie ging? Hoffentlich waren sie gut von Karlas Verwandten aufgenommen worden. Außer ein paar Zeilen, hastig während eines Aufenthalts in der Türkei verfaßt, hatte er nichts mehr gehört. Es schien, als seien alle Fäden zwischen Carlsthal und Württemberg durchtrennt worden. Briefe aus Stuttgart bekam er schon lange nicht mehr. Trotz seines Schweigens waren zu Beginn noch einige zaghafte Schreiben von Eleonore eingetroffen. Doch irgendwann hatte sie es wohl aufgegeben, auf eine Antwort von ihm zu hoffen. Für welchen treulosen Wortbrecher mußte sie ihn halten! Dabei konnte sie das Ausmaß seines Verrats noch nicht einmal ahnen!
    Das heilige Fest, der Jahreswechsel – im Stuttgarter Schloß gab es jetzt sicher alle Hände voll zu tun. Oh, er erinnerte sich noch so genau: Bis zum Umfallen hatte er als Holzträger Brennholz für die vielen Öfen der Hofküche vom nahegelegenen Lager heranschleppen müssen. Wer wohl jetzt diese Aufgabe innehatte? Doch wer es auch war und wie flink er sich auch bemühte – Johann, dem Hauptkoch, konnte er es sicherlich auch nicht recht machen. Der alte Menschenschinder! »Mehr Holz, mehr Holz! Schneller, du Tölpel!« Und schon hatte er zu einem Nasenstüber ausgeholt, weil ihm wieder einmal alles nicht schnell genug ging. Den vermißte Leonard weiß Gott nicht. Aber Eleonore! In der eisigen Kälte des Wintermorgens glaubte er, sein Herz wolle zerspringen, ein solch stechender Schmerz durchfuhr seinen Leib, wenn er auch nur ihren Namen dachte! War das die Strafe für all seine Sünden? Diese nicht enden wollende Höllenqual?
    Noch bevor er sich auf andere Gedanken bringen konnte,war er am Haus des Doktors angelangt. Vorsichtig stellte Leonard die schwere Tasche ab und rieb sich die schmerzende Schulter. Er klopfte an und wartete darauf, den schlurfenden Schritt des Doktors zu hören.
    Wie fast alle Häuser in Carlsthal bestand auch dieses aus einem einzigen Raum, der als Schlaf- und Wohnraum gleichzeitig diente und in dem sich auch die Kochstelle befand. Doktor Gschwend untersuchte zudem auch noch in diesem Raum, wobei sich die Kranken einfach auf sein abgedecktes Nachtlager legen mußten. Niemanden im Dorf schien diese Vertrautheit zu stören, genausowenig wie die Tatsache, daß die Nase des Doktors schon am Vormittag rotverfärbt war und die Wodkaflasche, die immer und zu jeder Tageszeit auf seinem Tisch stand, schon zur Hälfte geleert. Dafür konnte man sichergehen, daß der Doktor einem selbst auch keine Vorhaltungen machte, wenn man im Suff über die eigenen Füße gestolpert war und nun einen verstauchten Knöchel aufzuweisen hatte. Oder wenn man in der Wut dem Weib ein blaues Auge geschlagen hatte. Gschwend verstand die Leute im Dorf. Und sie verstanden ihn. Wie hätte man den russischen Winter ohne Wodka ertragen sollen?
    Kaum hatte der Arzt die Tür geöffnet, drückte Leonard ihm die Tasche mit dem Wodka in die Hand. Ohne ein Wort der Begrüßung folgte er ihm ins Haus. Während der Mann mit zittriger Hand die Flaschen in seinen Schrank räumte, verzog Leonard die Nase. Der Geruch nach Krankheit und die Ausdünstungen des Doktors mischten sich zu einer dunklen, stickigen Wolke, die Leonard den Atem nahm und ihm Übelkeit verursachte. Was tat er eigentlich hier?
    Eigentlich hatte er allen Grund, dem Doktor dankbar zu sein, das wußte er. Was würde er ohne ihn und das weiße Pulver machen? Er mochte es sich gar nicht vorstellen!
    Einmal hatte er Barbaras tägliche Ration von zweikleinen Löffeln Pulver probehalber um

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