Die Zuckerbäckerin
Unterkunft und Essen bezahlen. »Oh, Sonia! Warum muÃt du dich so in Gefahr bringen?« So plötzlich, wie sie aus ihrer lähmenden Angst erwacht war, so plötzlich verlieà ihr Mut sie wieder. Sie hätte nicht einmal gewuÃt, wie sie den Namen einer solchen Frau herausbekommen sollte, doch scheinbar kannte Sonia eine Hebamme, die auch in Not geratenen Mädchen half â gegen gutes Geld natürlich! Obwohl Sonia ihr versichert hatte, daà die Frau, zu der sie gehen wollte, ihr Handwerk verstünde, schnürte die Angst um ihre Schwester Eleonore die Kehle zu. Daà Sonia sie gebeten hatte, mitzugehen, zeugte davon, daà auch sie ängstlicher war, als sie zugeben mochte. Aber hatten sie denn eine Wahl? Auf dem Land oder auf der StraÃe â da hätte Sonia das Kind vielleicht heimlich austragen und es dann in einer dunklen Nacht in das Fenster eines der klösterlichen Findlingshäuser legen können â, hier auf dem Schloà war dies einfach unmöglich. Sonia hatte selbst schon verzweifelt versucht, das Kind loszuwerden, doch das unerwünschte Leben krallte sich in ihren Leib, mochte sie noch so viele Treppen auf einmal hinunterspringen. »Kein Tropfen Blut, kein Ziehen im Bauch und kein Abgang der elendigen Brut!« Ihr Gesicht war eine einzige häÃliche Fratze gewesen, als sie Eleonore von ihren Anstrengungen erzählt hatte. Das Unglück, welches ihr widerfahren war, bedeutete in ihren Augen eine einzige Ungerechtigkeit. Der Gedanke, daà sie selbst daran schuld hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Und Eleonore hatte darauf verzichtet, ihr das zu sagen. Was hätte es gebracht? Ihr fielen Leonards Anschuldigungen ein, doch sie wollte nicht wissen, wer an Sonias Zustand schuld hatte. Sie kannte ihre Schwester zu gut, als daà sie eine ehrliche Antwort darauf erwartet hätte. Daà es keiner war, der sich ihrer angenommen hätte, wuÃte Eleonore auch so. Das konnte sie sich an den Fingern einer Hand ausrechnen. Burschen, die Sonias Eitelkeitenausnutzten, um sich an ihrem jungen Leib zu ergötzen, gab es zuhauf. Keiner von ihnen wäre bereit gewesen, zu dem Kind in ihrem Leib zu stehen â so gut kannte Eleonore die Männer. Sie wollte Sonias Last jetzt nicht noch durch Vorwürfe schwerer machen. »Heiliger Vater im Himmel â¦Â«, hilflos rief sie den Allmächtigen an, doch ein Gebet wollte ihr nicht gelingen, denn Gebete hatte es bislang in ihrem Leben nicht gegeben.
Sonia hatte mit einer Frau vereinbart, daà diese die beiden Schwestern am nächsten Samstag abend zu der Engelmacherin führen würde. Samstags herrschte auf den StraÃen der Stadt mehr Trubel als unter der Woche, der Zahltag verführte die Männer immer noch zu einem Besuch im Wirtshaus. So war es für die Mädchen leichter, sich unter die Menge zu mischen und unauffällig zu der Adresse zu gelangen. Das Geld für die Dienste der Frau hatten sie beisammen. Unter Tränen hatte Sonia ihre Armreifen verkauft, und Eleonore hatte nicht schlecht gestaunt, wieviel Geld sie dafür in dem kleinen Krämerladen bekommen hatte. Soweit war alles geregelt. Nachts lagen die beiden Schwestern jetzt wieder in vertrauter Zweisamkeit zusammen und hielten sich an den Händen. Sollte es Sonia am Tag darauf schlechtgehen, muÃte Eleonore eine Ausrede finden, um sie bei Johann zu entschuldigen. Wenn es nur schon soweit wäre! Die Warterei raubte Eleonore jede Kraft, sie konnte an nichts anderes mehr denken als an den bevorstehenden Besuch bei der Engelmacherin. Selbst die Aufregung, die im ganzen Schloà aufgrund von Katharinas Feierlichkeiten am nächsten Tage herrschte, ging völlig an ihr vorüber. Wenn wir es nur schon hinter uns hätten! Immer wieder ging ihr der gleiche Gedanke durch den Kopf. Daà sie Sonias Unglück ganz und gar zu ihrem eigenen gemacht hatte, fiel ihr nicht auf.
Es war früher Montagmorgen und der Koch Matthias hatte sie in den Kräutergarten geschickt, um einen Korb frischer Kräuter zu holen. Doch nicht einmal deren würziger Geruch hatte es vermocht, den lähmenden Nebel zu durchdringen, der Eleonore seit Tagen den Verstand raubte. Sie stellte den vollen Korb neben sich auf den Boden, streckte sich und rieb sich mit beiden Händen ihren Rücken, der von der elenden Schlepperei ganz wund war. Mit den müden Bewegungen eines alten Weibes hob sie den Korb dann wieder
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